Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Sonntag, 18. Januar 2009

Was ist eigentlich der "immerwährende Reichstag" in Regensburg?






Ich will es mal so ausdrücken: es ist eine leicht ausgeuferte Reichsversammlung im Mittelalter, die 1663 begann.


Es geht um den "Reichstag", der Ständevertretung im Heiligen Römischen Reich.

Während der Reichstag zuvor in unregelmäßigen Abständen in verschiedenen Städten tagte, wurde er ab 1594 nur noch im Reichssaal des Regensburger Rathauses gehalten. Und so versammelten sich Kaiser und Könige und mit ihnen Fürsten in großer Zahl in einer Stadt ein, halten Beratungen ab, fasscen Beschlüsse – und verabschieden sich dann wieder.

Nicht so im Jahre 1663.  Der Reichstag, der am 20. Januar begann, dauerte länger und länger; aus Wochen wurden Monate und Jahre; der Reichstag wurde zum „Immerwährenden Reichstag“. Jetzt haltet Euch fest: er endete im Jahre 1803.

Der immerwährende Reichstag in Regensburg: 1663 bis 1803

Geplant war das natürlich nicht so.


Man kam, so erfährt man aus Wikipedia,  am 20. Januar 1663 zusammen um über die Gefahr, die durch die Türken an der östlichen Reichsgrenze entstanden war, zu beraten. Der Kaiser Leopold I. benötigte für die Verteidigung Geld. Daneben war schon der länger schwelende Streit zwischen der Fürstenpartei und den Kurfürsten ein Thema. Die in der Fürstenpartei zusammengeschlossenen Fürsten drängten auf eine Beteiligung an der Ausarbeitung der Wahlkapitulation, lateinisch ius adcapitulandi und der Königswahl. Im Kern ging es um die Frage, ob die Kurfürsten exklusiv die Kapitulation mit dem zukünftigen Kaiser aushandeln durften und damit faktisch die Reichsverfassung ändern konnten, ohne dass der Reichstag mit seiner alleinigen, so die Meinung der Fürsten, Gesetzgebungskompetenz eingebunden war.

Aufgrund der langen Reichstagsdebatten sollte der Einfachheit halber eine Kapitulation verabschiedet werden, die dann für alle späteren Könige und Kaiser gelten solle, eine Capitulatio perpetua. Dieser Streit, der vordergründig den Führungsanspruch der Kurfürsten negierte, war aber auch von grundlegender Bedeutung. Denn in solch einer Kapitulation ließen sich theoretisch alle möglichen Fragen regeln, wie zum Beispiel die Modalitäten über die Erklärung der Reichsacht. Der Streit um die Wahlkapitulation war also ein Streit um das Recht, Gesetze zu erlassen und um deren Inhalte. Daneben sollte der Reichstag auch liegengebliebene Probleme des Dreißigjährigen Krieg beraten, die im Jüngsten Reichsabschied des vorhergehenden Reichstages von 1653 nicht vollständig gelöst worden waren.

Daraus erwuchs nun die Permanenz des Reichstages.

Der Kaiser drängte im dritten Jahr des Reichstages die Stände zu größerer Eile. Im fünften Jahr drängten die Stände den Kaiser, dass dieser einen Schlusstermin benennen sollte. Als dieser Schlusstermin im sechsten Jahr nahte, entschloss man sich den Termin erneut aufzuschieben, um nicht zu der ganzen Nation Schimpf und Schande auseinanderzugehen. Letztendlich fand man sich damit ab, dass man noch länger zusammensitzen würde.

Als in den 1670er Jahren die Verteidigung der westlichen Reichsgrenze gegen Frankreich auf die Tagesordnung kam, war die Versammlung schon längst zu einer immerwährenden geworden, auch wenn man noch auf einen reputirlichen Reichsabschied hoffte.

Da es keine förmliche Beendigung des Reichstages mehr gab, wurden Beschlüsse auch nicht mehr in Reichsabschiede gefasst – der letzte Abschied von 1654 ging als Jüngster Reichsabschied in die Geschichte ein –, sondern in Form von Reichsschlüssen verabschiedet.


Update August 2014:
ein früherer Reichstag in Regensburg, damals noch nicht immerwährend

ebenfalls ein früherer Reichstag in Regensburg, 1636

Das alte Rathaus (links), das dem Reichstag zur Verfügung gestellt wurde, und das "neue" Rathaus (rechts vom Turm). Mittlerweile gibt es natürlich ein ganz neues Rathaus, bei der Dr. Martin-luther-Straße - also nicht verwechseln.

Reichstag 1446

ein älterer Reichtstag in Regensburg, hier 1653