Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Montag, 20. Juni 2011

Amaro Ameise - da steckt mehr dahinter!

(Fotos rekonstruiert im August 2014)

Amaro Ameise und der Regensburger Stadtgraben am Petersweg - ein Geschichte, die 2006 begann. Damals ergriff er die Initiative, räumte in monatelanger Arbeit systematisch die wilde Müllhalde in diesem Stück ehemaligen Stadtgrabens auf, in die Passanten (und nachts die Betrunkenen) Unrat warfen. Am Ende bearbeite er den Boden und bepflanzte ihn. Die Stadt duldete ihn wohlwollend und er versprach, die denkmalgeschützten Mauerreste  in Ruhe zu lassen.

Amaro Ameise alias Markus Frowein




Nun musste er raus, denn die aktuellen Eigentümer wollen bauen. Die Stadt forderte ihn deshalb auf, den Garten zum 31. Mai 2011 zu räumen (vgl. MZ-Artikel vom 31.Mai, ferner der wesentlich ausführlichere Artikel in regensburg-digital.de).

Ist er nun raus oder nicht?


Ist er nun raus oder nicht, höre ich die Leute fragen? Ja, er ist. Aber er ist noch in Regensburg und ist noch aktiv.  Ich traf ihn beim Aufräumen auf der Jahninselspitze, unterhalb des Grieser Stegs, und unterhielt mich mit ihm.




Yorki fetzte inzwischen auf der Wiese herum. Was hier durchaus von Bedeutung ist, denn: normalerweise muss ich aufpassen, dass er sich nicht eine der vielen Glassplitter in die Pfoten tritt, die von feiernden Leuten stammen, oder Essensreste anknabbert, die die Picknick-Gäste hinterlassen. Aber diesmal konnte ich unbesorgt sein. Amaro hatte in den letzten beiden Tagen bis zu diesem Abend die gesamte Inselspitze gesäubert.

Glassplitter, Essensreste, und vor allem: tausende von Zigarettenstummeln. er hat sie alle aufgesammelt und weggebracht. Wohin, wird nicht verraten - ich habe ihm jedenfalls gebeten, den Kippenberg vorläufig aufzuheben, vielleicht gibt es Jugendliche, die daraus ein demonstratives Projekt machen (z.B. mit Sprühkleber die Kippen in eine Grafik umwandeln?, oder die Kippen in einer Glasröhre an einem öffentlichen Platz aufstellen?)

Was viele nicht wissen: Weder Regensburg als Stadt, noch der "Garten" im Stadtgraben war durchaus nicht Amaros einziger Betätigungsbereich. Und es war auch nicht sein Domizil, wenn, dann nur provisorisch und tageweise.

Sein Ziel schildert er selbst auf der Seite amaro.voll.in :



Können Sie es auch nicht sehen, wenn um sie herum alles vermüllt und zubetoniert wird?

Ich auch nicht.

Deshalb greife ich ein, wo es nötig wird.

Ich reinige vermüllte Schandflecken und versuche, sie in meinem Sinne zu verschönern.

Dazu gehören nicht nur Grünflächen, sondern auch Straßen, Plätze und Wege.

Wenn sie also meine Internetadresse irgendwo lesen, war ich schon da.

Ich hoffe, es freut Sie, wenn es ein wenig sauberer und schöner auf unserem Planeten wird.



So erzählte er mir, dass er in tagelanger Arbeit einen vermüllten und rattenübersäten Bereich im Park zwischen Bahnhof und Stobäusplatz auf Vordermann brachte. Der zum Teil von von Obdachlosen stammende Müllberg war dort schon ein Rattenausflugsziel.

Er erzählte mir ferner von der Aktion in der Thundorfer Straße, vor ein paar Jahren, als dort sich Obdachlose in dem ausgebrannten Haus einnisteten. Dort war der Müllberg so hoch, dass die Ratten nachts über die Schlafenden liefen. Mit dem Müll hätte er wohl einen 10-Tonner laden können, lachte er.

Manchmal weiß er nicht mehr wohin, dann kann es schon sein, dass er demonstrativ eine kleine Müllinstallation an der Bushhaltestelle aufstellt, was ihm nicht unbedingt Freunde bei der Stadtreinigung oder Stadtverwaltung brachte.

Wer ist schneller?


Sein eigentlicher Name ist Markus Frowein. Den Namen Amaro gab ihm seine Freundin, die ihn, in allem was er tut, moralisch unterstützt und zur Seite steht. Ihretwegen ist er die meiste Zeit in Regensburg. Aber gelegentlich macht er Ausflüge oder Aktionen im restlichen Land. Er erzählte mir von einer Aktion in Rheinland-Westfalen, wo es sich einbürgerte, dass in einem Naturschutzgebiet jewels am 1. Mai wilde Parties gefeiert wurden. Dies uferte aus, bis es ein paar Tausend waren. Erst in den letzten beiden Jahren versucht die Polizei, das zu unterbinden.

Jedenfalls geschah es vor ein paar Jahren, dass er merkte, dass die Feiernden zunehmend zuviel Müll zurückließen. Und so wollte er wissen, ob er die Feiernden "überholen kann", erzählte er lachend. Während die Gruppen um die Lagerfeuer saßen, räumte er die ganze Nacht hindurch um sie herum auf, bekam dabei Unterstützung und Einladungen von den Feiernden. Als am Morgen die Waldarbeiter kamen, fielen ihnen die Kinnladen herunter: alles was blitzblank aufgeräumt. Er hatte es geschafft.

Was können wir von Amaro Ameise lernen?


"Manch einer mag ihn als einen modernen Don Quijote betrachten, der vergebens gegen Windmühlen kämpft", formulierte Christiane Suckert  in einem Artikel in suite101.de. Abgesehen davon, dass ihn das nicht beirrt, sollten wir Regensburger Bürger bei dieser Gelegenheit unsere Einstellung hinterfragen.

Nehmen wir Amaro Ameise nur so als Kuriosum wahr? Als Touristenattraktion? Oder überlegen wir uns vielleicht mal, ob seine Tätigket nicht eine Botschaft enthält, die uns alle betrifft: nicht so gedankenlos mit Müll umzugehen, und nicht wegzusehen, wenn Mitbürger gedankenlos ihren Müll hinterlassen.

Das wird vor allem diejenigen interessieren, die öfters mal auf der Jahninsel oder an den Donauufern spazieren gehen. Ich gehöre dazu, ebenso viele Hundebesitzer, die auf der Wöhrdinsel regelmäßig spazieren gehen. Wir pflegen schon seit Jahren einen stillschweigenden Aufräumdienst, weil die Gruppen, die in den lauen Sommerabenden am Donauufer grillen oder feiern, Müll hinterlassen. Die städtischen Angestellten kommen hier nicht mehr mit.

Mein Hauptaugenmerk waren die vielen Glassplitter, z.B. am "Beschlächt", unter der Steinernen Brücke und auch in den Wiesen. Dass aber auch Zigarettenkippen zu dem Müll gehören, den Feiernde mit nach Hause nehmen sollten, wurde mir erst im Gespräch mit Amaro Ameise bewusst. Eine Kippe verunreinigt so und so viel Liter Wasser, erzählte er mir, ich weiß leider die Zahl nicht mehr. Aber die war erschreckend.

Manchmal wird man geschubst, nicht immer nur gelobt


Er schimpft nicht, spricht Leute nicht an, predigt nicht groß, sondern räumt einfach auf.  Da räumt er um die Obdachlosen herum alles auf, ohne zu predigen. Diese lernen von alleine dazu und halten ihren Platz ein bisschen cleaner. Lustig die Geschichte von den Obdachlosen in der thundorfer Straße, die am Ende, als Amaro noch einen gebrauchten Teppich organisiert und ausgelegt hatte, verdattert in dem aufgeräumten Raum saßen und nicht wussten, wie ihnen geschah.

Ich korrigiere -  gelegentlich sendet er dezente Botschaften aus.  Zum Beispiel als er vor einem Regensburger Lokal mit Kreide die Bitte äußerte, sich um die Zigarettenkippen Gedanken zu machen. Da waren die Betreiber mächtig sauer. Bei solchen Gelegenheit wird er dann schon mal "herumgeschubst".

Er erzählte auch von den Betrunkenen, die nachts im Bereich des Stadtgrabens herumtollen. Diese warfen früher alles mögliche in den Graben, auch schonmal komplette Parkbänke. Einmal warfen sie mit Bierflaschen nach ihm, als er sich im Garten aufhielt.

Ein anderer tanzte betrunken auf dem Geländer herum, verlor das Gleichgewicht und fiel in den Graben. Das war dann noch ganz lustig, denn er fiel mit den Beinen voran in ein  frisch umgegrabenes Blumenbeet und steckte dann bis zu den Schienbeinen in der lockeren Erde - mit minimalen Verletzungen, wie der Kumpel des Unglücksraben später erzählte.

Das Verhältnis zu den Behörden


Das Verhältnis zu öffentlichen Mitarbeitern, die die Hintergründe nicht kannten, war anfangs gespannt. Er erzählte von dem wilden betonierten Müll-Loch unter der Protzenweiher Brücke in Steinweg - ein Hygiene-Desaster und Rattenparadies. Den Mülle musste er an einer Bushhaltestelle in der Nähe des bunten Hauses zwischenlagern, wo ihn ein Passant sah, der wiederum die Polizei anrief. Diese zwang ihn, den Müll wieder in das Beton-Loch zu versenken.

Inzwischen ist er bei den Beamten der Stadt akzeptiert. Auch die Straßenkehrer, deren Behältnisse er gelegentlich überbeanspruchen muss, wenn er größere Mengen entledigen muss. Lediglich einige Leute vom Stadtgartenamt seien noch etwas pikiert, weil sie sich von ihm vorgeführt fühlen. Aber das ist nicht seine Absicht. Denn wir Bürger sind es, die ohne nachzudenken soviel Müll produzieren, dass die Beamten nicht mehr mitkommen. Und er opfert seine Freizeit, um hier zu helfen.

Als Beispiel nahm er wieder die Jahninsel, auf der wir uns gerade befanden. Zwar gehen regelmäßig Beamte durch, um dort und an anderen Donauufern aufzuräumen. Aber die können nur das Notwendigste schaffen. An der Südspitze, wo wir uns befanden, seien Tage zuvor sechs Beamte gesehen worden, erzählt man, aber die Wiese war natürlich immer noch von wildem Müll und vor allem mit Zigarettenkippen übersät. Er benötigte zwei komplette Tage für die "Endreinigung" der Südspitze.

Interessante Gesetzmäßigkeiten beim wilden Müll


Wie mülder Will, äh, wilder Müll entsteht, darüber hat sich wahrscheinlich noch kein Soziologe Gedanken gemacht. Dabei gibt es interessante Gesetzmäßigkeiten, auf die mich Amaro Ameise aufmerksam machte. Die Zeitabstände, binnen derer sich nach einem aufgeräumten Platz wieder Müll bildet erhöhen sich nach einem bestimmten Muster. Vereinfacht ausgedrückt: merken die Müllverursacher (sei es nun Passanten allgemein oder spezielle Personen), dass aufgeräumt ist, dann halten sie den Platz selber sauber, lassen also nicht so viel liegen. Vorgänge, die unbewusst ablaufen, aber nachvollziehbar sind. Es gibt weitere Gesetzmäßigkeiten, die ich aber nicht mehr replizieren kann.

Aber das gibt Anlass, sich Gedanken zu machen. Auch diejenigen, die sowieso schon ihren Müll in die Abfallkörbe werfen, sich also schon korrekt verhalten. Denn vielleicht können wir zusätzlich als stille Vorbilder auftreten, indem wir ab und zu einen fremden "Abfall" (sofern hygienisch vertretbar) aufheben und in den nächst gelegenen Abfalleimer werfen. Nicht demonstrativ, wenn wir jemand was wegwerfen sehen, sondern einfach so, zwischendurch. Im Wissen, dass andere dies unbewusst wahrnehmen, und sich das positiv auswirkt.

Ich persönlich wäre jedenfalls überglücklich, wenn Passanten herumliegende Glassplitter entfernen, auch wenn sie nicht von ihnen stammen (Amaro Ameise als Vorbild nehmend) - mein Hund Yorki und viele andere Tiere würden es danken. Denn wie oft hat Yorki entzündete Pfoten, die durch kaum sichtbare Splitter verursacht werden. Und nur an diejenigen zu apellieren, die das verursachen, hilft den Hunden hier nicht weiter.

Fazit: Amaro Ameise - da steckt mehr dahinter.

Bilder von "Amaroland", dem Garten im Regensburger Stadtgraben

























Weitere Bilder und Informationen zum Peterstor-Stadtgraben


Wer noch mehr Informationen über den Stadtgraben will, für den empfehle ich:


  • Die Bilder-Alben-Seite von amaro ameise auf picasaweb: https://picasaweb.google.com/107961080320374155752
    (dort das Album "da hama den salat").