Linkes politisches Theater das Spaß macht, geht das? Und darf man das überhaupt, angesichts gesellschaftlicher Verhältnisse, die über Leichen gehen? Und ist das nicht etwas out , interessieren die Gedankengänge von damals noch die Leute von heute?
Das ueTheater wagt mit Brechts „Die Mutter“ den Versuch. Und den Zuschauerinnen und Zuschauern, ganz gleich welcher politischen Couleur, schien es gewaltig zu gefallen. Denn mit jeder Aufführung kamen mehr, beim letzten Auftritt musste man die Leute nach Hause senden, und das bei herrlichstem Wetter.
Mich persönlich hat das Stück nicht nur wegen seiner Machart begeistert, sondern auch inhaltlich sehr nachdenklich gemacht. Aus diesem Grunde möchte ich etwas eingehender über die Adaption dieses Stückes von Kurt Raster erzählen.
Das Konzept
Aber ist das wirklich Brechts „Mutter“, das das" ueTheater" unter der Regie von Kurt Raster da aufspielt? Eingeleitet und moderiert wird die Aufführung von zwei sogenannten „Kapitalisten“, Jörg und Sabine. Brecht sei eben rentabel, darum sei er auch in ihren Kreisen hochgeschätzt. Trotzdem wäre das Projekt aus Kostengründen beinahe gescheitert, wäre man nicht auf die rettende Idee gekommen, einfach das Publikum einzubeziehen. So könne man teure Nebenrollen einsparen, und das beste daran: „Sie zahlen sogar noch dafür, mitspielen zu dürfen“, verkünden die Kapitalisten ironisch.
Rollenzettel werden verteilt. Wer aufgerufen werde, habe den entsprechenden Satz vorzulesen. Daneben, so die Kapitalisten weiter, habe man das Stück auch modernisiert. Zwar bleibe das Schauspiel eins zu eins Brecht, aber die Lieder seien „den historischen Tatsachen angepaßt worden“. Wie das aussieht, erfährt man gleich im Eröffnungslied. Während es bei Brecht heißt: „Was immer du tust / Es wird nicht genügen“, wärmen die Kapitalisten die alte Mär „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ auf: „Was immer du tust / Du hast es in deiner Hand“. Brecht wird ins Gegenteil verkehrt. Eine beißende Kritik auf den Versuch des Mainstreams, Brecht zu entpolitisieren . Die Zuschauer bekamen Zettel mit den Liedtexten zum Mitlesen, und zwar synoptisch, links der aktuelle Liedtext, rechts der ursprüngliche Liedtext.
„Die Mutter“
Das Stück heißt "Die Mutter" und handelt nicht etwa von "Mutter Courage", das ebenfalls von Brecht ist. Vielmehr geht es um die Mutter eines Arbeiters, der sich gewerkschaftlich engagiert und mit Flugblättern zum Streik aufruft - was aus ihrer Sicht rechtswidrig ist. Die Geschichte geht über den Tod des Sohnes hinaus und zeigt auch noch Szenen, in denen die Mutter, inzwischen bestens informiert, Jahre nach dem Tod des Sohnes weiter kämpft.
Die Inszenierung kommt ohne Bühne aus, es wird sozusagen mitten unterm Volk gespielt, zwischen den Tischen des Lokals. „Das hätte Brecht gefallen, dem alten Sozi!“, kommentieren Jörg und Sabine. Das Stück selbst spielt in Rußland im Jahr 1905. Kapitalisten: „Die Oktoberrevolution steht schon als drohende Wolke am Horizont.“ Mutter Pelagea Wlassowa bedauert, ihrem Sohn Pawel keine bessere Suppe herschaffen zu können. Auch sieht sie mit großer Unruhe, daß ihr Sohn sich zunehmend der revolutionären Bewegung anschließt. Sie hat Angst, daß er dadurch seinen Arbeitsplatz verliert. Die Kapitalisten stimmen ihr hierin vollkommen zu und rufen im folgenden Lied alle Arbeitslosen zur Eigeninitiative auf.
Brecht beschreibt nun sehr genau den Prozeß der Politisierung von Mutter Pelagea. Der Streik für bessere Löhne wird von Polizei und Soldaten niedergeschossen und sie erkennt, daß der Staat allein auf Seiten des Kapitals steht. Nur die Umwälzung des Staates kann daher die Lösung bringen. Sie lernt lesen und schreiben, denn „Lesen ist Klassenkampf!“. Mit viel Witz und Bauernschläue agitiert sie unter den Landarbeitern, eröffnet eine illegale Druckerei und läßt nichts unversucht, die Sache der Bolschewiki voranzubringen. Sogar der Tod ihres Sohnes, der auf der Flucht erschossen wird, bringt sie nicht von ihrem Weg ab: „Es war gut, was Pawel gemacht hat.“
Schließlich, nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, während die Stimmung im Land kippt, die Matrosen meutern und die Arbeiter und Bauern sich gegen den Zaren erheben, trägt Mutter Pelagea die Rote Fahne der Revolution: „Als ich vor vielen Jahren mit Sorgen sah, daß mein Sohn nicht mehr satt wurde, habe ich zuerst gejammert. Da änderte sich nichts. Dann half ich ihm bei seinem Kampf um die Kopeke. Damals sind wir in kleinen Streiks für bessere Löhne gestanden. Jetzt stehen wir in einem Riesenstreik und kämpfen um die Macht im Staate.“
Die "Kapitalisten"
Immer wieder unterbrechen die Kapitalisten und versuchen Brecht nach Kräften zu entwerten. Aus dem „Lob des Kommunismus“ wird „Lob des Kapitalismus“, aus dem „Lied vom Flicken und vom Rock“ wird das „Lob der Sozialpartnerschaft usw. Doch zum Schluß wird es den Brechtschauspielern zu bunt. Unter dem Drohgesang „Wer noch lebt, sage nicht niemals!“ werden die Kapitalisten des Saales verwiesen. Hier bezieht das ueTheater also eindeutig Stellung.
Darstellung
Das ueTheater hat keinen festen Schauspielerstamm. Kurt Raster organisiert immer wieder neue Leute. Studenten spielen neben „Donaustrudlern“, Schauspielschüler neben „Ersttätern“, Jung neben Alt. Trotzdem – oder gerade deswegen – funktioniert das Konzept. Kurt Raster holte sich wieder Gerlinde Munoz und wollte sie diesmal unbedingt für die Hauptrolle. Diese spielt nicht die Mutter, sie ist es.
Julian Niedermeier und Elfriede Brehm treffen den Pathos ohne Kitsch, Ben Peis erhält für seinen „Metzger“ spontanen Szenenapplaus und Rolf Muszeika schafft es anscheinend spielend, jeder seiner insgesamt fünf Figuren einen eindeutigen und glaubhaften Charakter zu verleihen. Die beiden Kapitalisten Karin Killy und Armin Kind führen als Kapitalisten-Moderatoren souverän und mit viel Humor durch den Abend.
Auch ihr Gesang läßt sich hören, sofern man berücksichtigt (was den meisten Zuschauern aber leider nicht bekannt war), dass manche Lieder absichtlich etwas "unsauber" gesunden wurden, um das Feeling der früheren Brechtlieder trotz moderner Melodien erhalten bleibt.
Insgesamt eine erstaunliche Leistung für ein „Laientheater“. Eigentlich wie jedesmal, wenn Kurt Raster ein Stück auf die Beine stellt. Was er aus den Schauspielern herausholt, ist enorm.