Der Witz dabei: Irgendwann in den siebzigern, ich vermute ca 1970, gab es erneut einen Todessturz, wieder vom Seil, wieder auf dem Haidplatz.
Ich war damals zusammen mit meinem Vater auf dem Haidplatz und wir sahen bei dem Spektakel zu. Das Seil war zwischen dem Verwaltungsgerichtsgebäude (am Boden) und der Platzmitte beim Brunnen (oben, ich glaube, da war ein Mast) gespannt, und mehrere Motoradfahrer machten ihre Kunststücke auf umgebauten Motorrädern. Als die Dämmerung eingebrochen war, sollte einer der Akteure zum Höhepunkt noch einen besonders dramatischen Salto durchführen. Wer in der Nähe war, bekam mit, dass darüber diskutiert wurde, ob das so wie geplant durchgeführt werden solle. Wie sich später herausstellte, war der vorgesehene Akteur nämlich betrunken.
Nun, man beschloss, es durchführen, und bekam die Quittung. Einer der beiden Artisten flog bei der Vorführung auf das Pflaster und war sofort tot. Damals gab es noch kein Internet, daher finde ich keinen Bericht zu dem Vorfall. Ich glaube, ich war zwischen 13 und 15, also muss es ca 1970 gewesen sein.
Sie können sich vorstellen, wie elektrisiert ich war, als ich bei meinen Recherchen zu geschichtlichen Bildern auf den Todessturz aus 1673 kam:
Ein Flugblatt aus 1673: Sturz des Arztes Carl Bernovin, genannt Atavan, als Seiltänzer, am 5./15. Januar 1673 in Regensburg auf dem Haidplatz. Das Bild selbst ist ein Kupferstich/Radierung
Als ich später das Kompendium von Karl Bauer kaufte (unbedingt empfehlenswert!), fand ich zu meiner Überraschung ein weiteres Bild von dem Ereignis, sowie konkrete Hintergrundinformationen.
Aus dem Werk von Karl Bauer (5. Auflage, S. 269) entnehme ich folgende Geshichte: Der Seiltänzer Charles Bernovin war Chrirurg und Augenarzt, in ganz Europa. 1672 kam er nach Regensburg und bekam großen Zulauf. Er verkaufte auch Wunderkuren, Pulver und Mixturen.
Am 5. Januar 1673 kündigte er ein noch nie dagewesenes Schauspiel an, ein Gauklerstück auf dem Haidplatz. Auf einem Seil vom Turm des Goldenen Kreuzes bis zum Pflaster vor der neuen Waag wollte er, mit Feuerwerkskörpern behangen, eine Talfahrt antreten. Es war wohl schon dunkel und ein regnerischer Abend. Helfer tränkten Bernovins Kleider mit Wasser, um Verbrennungen zu vermeiden, dann bestückten sie Rücken Hände und Füße mit Raketen und Schwärmern, ingesamt 20 Pfund Pulver.
Mehrmals drehte er sich während des Abfahrens nach Art der Gaukler, als er ins Wanken geriet. Am Seil hängend wollte er sich mit den Füßen wieder hinaufschwingen, aber das Gewicht der nassen Kleidung und der Feuerwerkskörper war zu groß. So hing er minutenlang mit einer Hand am Seil, mit der anderen Hand hielt er die Nase zu, wegen der starken Rauchentwicklung. Schließlich stürzte er auf das Pflaster. Dort konnte man sich nicht nähern, denn die Raketen feuerten immer noch. Die Zuchauer dachten zuerst an einen Trick, nämlich eine brennende Papierpuppe, bevor sie begriffen, was passiert war.
Beim Buch von Karl Bauer, der sein Leben lang Kunst, Kultur und sonstige Geschichte von Regensburg erforscht hat, findet der Leser noch viele weitere interessante Geschichten über den Haidplatz, u.a. auch über den legendären Dollinger-Wettkampf. Das Kapitel Haidplatz erstreckt sich über viele Seiten seines Kompendiums.
Hier fand ich auch erstmals die nachfolgende Zeichnung von (wahrscheinlich) Hans Kranzberger, die mir bis dahin noch nicht bekannt war: