Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Dienstag, 27. August 2013

Herzinfarkt 4 - die Zeit danach


Was passiert nach dem Herzinfarkt und was sollten Angehörige wissen - das ist das Thema dieses Teils. Denn hier gibt es Aufklärungsbedarf. Vielleicht kein Thema für das Regensburger Tagebuch, aber ich habe die Serie hier angefangen, und möchte sie hier weiter führen.

Jetzt mache ich gemütlich eine Revolution.




1.)  Nach dem Herzinfarkt ist der Patient herzschwach, aber nicht schwach.
 Er ist nicht schwach im üblichen Sinne, seine Muskeln sind noch kräftig. Aber ihm geht schneller die Puste aus, weil das Herz nicht mehr soviel Blut im Kreislauf umsetzen kann. Er hat ungenügende Herzpumpleistung, er ist herzinsuffizient - herzschwach.
Nach 8 Tagen, ich war aus der Intensiv raus und auf der normalen Station, konnte ich zwar normal gehen, aber nach 30 m musste ich Pause machen.  Außerdem konnte ich nur immer zwei, drei Treppenstufen nehmen und musste dann pausieren.
Eine Woche später, auf der Reha, konnte ich schon 5-10 Stufen nehmen, bevor ich pausierte. Bergauf gehen war noch nicht so recht drin.

In den Wochen danach wurde das Tag für Tag besser. Nach ein paar Wochen konnte ich schon ein Stockwerk hochgehen, ohne etwas zu merken, aber danach war eine Pause notwendig. Das Seltsame, auch heute noch, ist die Zeitverzögerung, mit der die Atemlosigkeit entritt. Ich mache etwas, gehe eine Rampe oder Treppe hoch, und merke keinen Unterschied zu sonst. Erst ein paar Sekunden danach merke ich, dass ich heftig atmen muss, dass mir die Puste ausgeht, und manchmal muss ich erst zurückdenken, was ich gerade gemacht habe. Aber die Tätigkeit selbst ist nicht anstrengender als sonst.

Am schlimmsten ist das Bücken. Da hält man unbewusst die Luft an und/oder kann nur flach atmen. Nach dem Aufrichten ist der Patient so richtig aus dem Atmen, so als wenn er zwei Stockwerke hochgerannt wäre. Ich persönlich merke das noch nach einem Jahr ganz deutlich. Freunde frage mich besorgt, warum ich so heftig schnaufe, nachdem ich etwas vom Boden aufgehoben habe. Ist aber ganz harmlos.




2.)  Über das Trinken und das Salz

Eine der Hauptaufgaben des Herzes ist das  Um- und Abpumpen des Wassers, das dann über die Blase ausgeschieden wird. Wenn das Herz nicht mehr richtig pumpt, sammelt sich Wasser im Körper an, z.B. in den Beinen, im Bauch,  oder in der Lunge, was das Atmen schwer macht.

Daher soll der Patient in den ersten Tagen nicht allzuviel trinken. Was sonst gut ist - wegen der Nieren - ist hier schlecht - wegen der Belastung des Herzens.


Einfach so eine Grafik. Könnte den Kreislauf symbolisieren.
Könnte aber auch einfach nur ein Experiment mit der creative-Software "context-free" sein. Wer weiß.


Da Salz das Wasser bindet, muss das Herz besonders stark kämpfen, wenn es seine Entwässerungsaufgabe erfüllen soll. Daher essen Patienten in der Erholungsphase salzarm. Manche auch noch später


salzarm .... bäääh


3.) Vorsicht vor Höhenluft

Den geplanten Urlaubsbesuch bei den Verwandten in Bogota, Kolumbien, 4000 m Höhe, sollte man vielleicht verschieben, bis das Herz wieder stärker ist. Ebenso Aufenthalte auf der Alm  in den Alpen, auch wenn man den Lift nimmt. Denn bei dünner Luft hat das Herz Schwerstarbeit zu leisten. Vorher den Arzt fragen. Zahlen nenne ich bewusst keine.




4.) Vorsicht vor Wasser

Für die erste Zeit zu meiden: Baden, schwimmen, sogar Baden in der Badewanne. Denn durch den Wasserdruck kann es zu Fehlreaktionen im Herzkreislauf kommen. Näheres erklärt der Arzt.
Für die spätere Zeit gilt: Vorsicht beim Schwimmen. Bedenken Sie: dass die Luft knapp wird, merkt man immer erst hinterher. Wenn Sie weit weg vom Ufer sind, ist das nicht optimal, wenn Ihnen die Luft ausgeht. Zwar besteht keine Herzinfarktgefahr, aber Sie könnten mangels Kraft ertrinken.

5. ) Autofahren

Autofahren kostet keine Kraft und ist deshalb eigentlich schon kurz nach dem Infarkt wieder möglich. Allerdings sind Versicherungen etwas pingelig, wenn etwas passiert.

6.) Wann kann ich wieder arbeiten

Büroarbeit kann man schon nach ein paar Wochen machen. Konzentration und energie sind im gewohnten Maße da, der Körper ist nicht geschwächt. Nur das Herz ist schwach, und wenn ich wenig Akten stapeln oder aufheben muss, komme ich nicht aus der Puste.

Möbelschlepper haben es da etwas schwerer.




 Ich selbst bin trotz Bedenken nach 8 Wochen wieder als Dozent aufgetreten. Ich saß etwas mehr als sonst, normalerweise renne ich vor der Teilnehmern auf und ab. Was mir Sorge machte, war das Reden selbst. Denn Sprechen kostet Atmung.

Es gab eine Zeit, das war circa eine Woche nach dem Infarkt, da musste ich für jeden Satz zweimal Luft holen. Luftholen, erste Satzhälfte, wieder Luftholen, zweite Satzhälfte. Luftholen, nächster Satz. Beim Dozieren, 8 Wochen später, war es natürlich besser. Aber ich konnte nicht mehr so viel und schnell durchreden, musste langsamer und leiser sprechen und mehr Pausen machen. Aber das bewegte sich im Rahmen des Normalen.


7.) Gewicht

Ob Übergewicht ein direkter Faktor für die Entwicklung des Herzinfarktes war oder nicht, kann man dahingestellt lassen. Für die Zeit NACH dem Infarkt gilt: 
wegen der verminderten Herzleistung ist jedes kg, das man zuviel hat, eine zusätzliche Arbeit für das Herz. Nicht das Fett im Körper ist ein Problem, nein, einfach das Gesamtgewicht und die Herzarbeit.

Das ist natürlich nur ein Faktor unter vielen und bedeutet nicht viel. Ich habe übergewichtige Patienten kennengelernt (meist übergewichtig wegen Medikamente, als unvermeidbar übergewichtig), die kamen ganz gut klar mit ihrer Situation. Und einer der Patienten konnte nach zwei  Monaten wieder als Kabarettist auf der Bühne auftreten. Ohne Probleme.



8.) Kaffee?

Kein Problem. "Kaffee wird überschätzt", sagte ein Arzt lakonisch. Und ein anderer lachte "der Kaffee auf  DIESER Station ist keine Gefahr". Denn ich hatte ihn gefragt, wieso ich in der Klinik Kaffee angeboten bekomme, obwohl ich gleichzeitig täglich Tabletten gegen Bluthochdruck und was weiß ich bekomme.

Ich weiß nicht warum, aber der Kaffee macht mir wirklich keine Schwierigkeiten. Offenbar verhindern die Tabletten den üblichen Effekt. Der Herzpatient bekommt nämlich sowohl Tabletten gegen Bluthochdruck als auch Tabletten, die einen ruhigen Herzschlag sichern. Letztere verhindern generell die Beschleunigung des Herzschlags aus üblichen Anlässen.






9.) Keine Angst vor Aufregungen



Und jetzt etwas ganz Wichtiges für die Angehörigen und Freunde:

Der Patient ist nicht schreckhaft, wie ein Mordopfer in einem Agathe-Christie-Roman. Er ist auch nicht infarktgefährdet, wenn es zu Stress kommt. Er ist ferner nicht infarktgefährdet, wenn er außer Atem kommt, weil er zu schnell die Treppe rauf ist oder sich beim Schwimmen übernommen hat.

Aufregung oder Herzüberbeanspruchung führen zunächst nur zur Atemlosigkeit, schlimmstenfalls also zu Schwindel. Aber lösen nicht notwendig Herzinfarkt aus.

Wegen des eingesetzten Stents und der blutverdünnenden Medikamente ist wahrscheinlich ein frischer Herzpatient am allerwenigsten gefährdet, im Vergleich zu den Leuten um ihn herum. Er kann nur außer Atem kommen! Natürlich ist es theoretisch denkbar, dass er wieder einen Infarkt erleidet, trotz Stent und Medikamente, aber wie schon der erste Herzinfarkt, passiert das meist im Schlaf und nicht weil man einen Steuernbescheid bekommen und sich aufgeregt hat.

Packt also den Patienten nicht in Watte. Sprüche wie, er soll unbedingt Aufregung vermeiden, regen ihn nur auf. Er kann auch ruhig was tragen, auch die Treppe rauf. Wenn es zuviel ist, merkt er es schon, dann schnauft er halt. Aber er bekommt keinen Infarkt. Sie müssen sich nicht ständig Sorgen machen, dass er wieder umkippt. Überhaupt: Der Infarkt kommt selten während einer Aufregung oder während der Arbeit. Er kommt sogar häufig im Schlaf (siehe Teil 2 der Serie).

Also nochmal: dass das Herz schwach ist, bedeutet nur, dass die Pumpleistung ungenügend ist, und der Patient schneller außer Atem kommt. 

Gefährlich wird es nur dort, wo Schwindel selbst gefährlich ist:

  • beim Schwimmen, wenn die Puste ausgeht, droht kein Herzinfarkt, aber Ertrinken. 
  • beim Radfahren im Straßenverkehr droht ein Unfall wegen Gleichgewichtsverlustes,
  • beim Bergwandern kann der Schwindel zu einem Absturz führen, wenn man nicht gerade auf einer flachen Wiese wandert.
  • beim Kofferschleppen die Treppe hinauf kann er stürzen und wieder nach unten kullern.

Natürlich: langfristig ist Stress deshalb schlecht, weil bzw. wenn es den Blutdruck hoch hält, und das wiederum sorgt für unreine Arterien, weil das Blut zu schnell durchjagt. Es bilden sich Ablagerungen. 

10.) Wann darf ich wieder Sex machen?

Keine Ahnung, was ist das?


Die Ratgeber sagen jedenfalls: Sobald man auch wieder eine Treppe steigen kann.

11. Wo bekomme ich in diesem chaotischen Internet die besten Informationen zum Thema Herzinfarkt?

Bei der deutschen Herzstiftung. http://www.herzstiftung.de/


Anmerkung:

Die Bilder habe ich aus dem SD42-Bilderpool genommen, den ich  eigentlich hauptsächlich für das strunzdummium-Projekt angelegt habe, um auf Illustrationen zurückgreifen zu können.




Wird vielleicht fortgesetzt.