Seiten

Freitag, 4. Juli 2014

Regensburg in der Literatur - 1834 Heinrich Laube, Reisenovellen

Wie erlebten Reisende früher das alte Regensburg?

In dieser Folge der Reihe "Regensburg in der Literatur" erleben wir das historisches Regensburg in Heinrich Laube, 1834: Reisenovellen - Band 2 - Kapitel 4

Es sind interessante Stellen drin, das verspreche ich. Und auch Regenstauf kommt vor. An manchen historischen Aussagen knabbere ich noch.

Die Unterstreichungen sind von mir und heben die Stellen vor, die ich interessant fand. Außerdem habe ich mehr Abstände eingefügt, damit der Text leichter lesbar ist. Am Text selbst habe ich natürlich nichts geändert.
Regensburg
Der Weg geht durch flache Thäler und stumpfe steinige Berge fort; das Land sieht indifferent aus, ohne besondern Fleiß, die Leute geben sich nicht viel damit ab, sondern halten sich mehr in den Bierstuben auf. Auch der niedrige Böhmerwald bildet nur einen matten Seitengrund. Aber man merkt es, daß man mehr nach dem eigentlichen alten teutschen Reiche kommt, hier und da erblickt man ein verfallen Schloß, und die Dörfer werden immer seltner, die Einwohner haben sich zum Schutze vor den straßenräuberischen Edelleuten, hinter die Mauern kleiner Städte gezogen; von da aus treiben sie auch den Ackerbau. Der Trotz gegen das Feudalthum beginnt.

So wie man an den Regen, einen artigen Fluß, kommt, gewinnt das Land ein etwas weicheres Ansehn.

Der Regen soll ein alter Bojoarier gewesen sein, welcher sich weit umher das Land unterworfen hat. Als er weiter vorgedrungen ist, hat man ihn überredet, sich taufen zu lassen, und zum Gedächtniß an diesen Aktus hat er das Städtchen Regenstauf erbauet, durch welches wir passirten.
(Anmerkung:Bojoarier ist veraltet für Bajuwarier. 
Bajuwarĭer, german. Völkerbund, namentlich aus Markomannen, Quaden und Hermunduren bestehend; aus ihm erwuchs das Volk der Bayern, um 500).




Er ist aber noch weiter hineingezogen in's Land und hat sich eine große Residenz angelegt, und hat sie nach seinem Namen Regensburg genannt.

Der Name ist geblieben, aber seine Herrschaft ist verschlungen worden von einem größeren Eroberer, der von Süden her gekommen ist. Dieser hat von des Regens stolzer Burg gehört, und ist mit all' seinen Mannen ein Stück nördlich gezogen, obwohl er sonst den Norden nicht geliebt, hat sich den Regen sammt seiner Herrschaft unterworfen, und sich dann stolz wieder nach Süden gewendet.

Dieser Herrscher aus Süden hieß aber Danubius.
(Anmekrung: war damit der Flussgott Danuvius gemeint?- http://de.wikipedia.org/wiki/Danuvius Insgesamt scheint mir die geschichtliche Schilderung zweifelhaft zu sein )

Als die Römer in's Land kamen, gab es in Teutschland sehr viel Regenwetter, und als später der heilige Bonifacius mit dem Christenthume kam, da wurde überall getauft, und das Wasser wurde mächtig, so sind allmählig alle die alten Herrscher in Flüsse verwandelt worden, und man hat ihre Macht durch Ufer und Eisböcke und Brücken und Wehre gebrochen.

Nur wenn der Frühling und der Sommer kommt, da schwillt ihnen in der warmen Sonne gewöhnlich das Herz noch einmal auf von ihrer alten starken Herrlichkeit, und sie sprengen die Ufer und Brücken und versuchen eine Emeute, zu einer Revolution können sie es aber nicht mehr bringen.
(Anmerkung: EMEUTE = französisch und veraltet für Aufstand, Aufruhr, Meuterei. Hier ist das jährliche Hochwasser der Donau gemeint)

Solch' eine Emeute war eben im Beginn, als wir bei Regensburg an den Danubius kamen, dessen Zorn man mit dem weichen Vokalnamen Donau zu beschwichtigen gesucht hat. Grimmig schlug er seine grünen Locken an die Pfeiler der massiven Brücke, aber der alte Held ist der Kinder Spott geworden. Ein bairischer Minister fuhr rasch mit vier Pferden drüber hin, und ignorirte ihn völlig.

Wie ein auf einander gethürmter Haufe von Häusern und Thürmen sieht die alte Reichsstadt aus, und als ich in die engen, winkligen Straßen fuhr, da dacht' ich an die Einzüge der Fürsten und Herren zu den Reichstagen, an ihre Fähnlein und ihre Schnurrbärte, und an die ganze mediatisirte Herrlichkeit, deren breiter Wahlplatz das westliche und südliche Teutschland ist.
Da die Reaction vom Jahre 1833 so glücklich von Statten gegangen ist, so haben diese alten Reichsperücken auch wieder zu wackeln angefangen, und sie singen wieder ihre schlecht stilisirten verschollenen reichsfreiherrlichen Unkenlieder in der Allgemeinen Zeitung, und wollen privatim Gesandte zu den Kongressen schicken.
(Anmerkung: möglicherweise ist mit der "Reaction 1933" der Frankfurter Wachensturm gemeint, also der gescheiterte Versuch von etwa 50 Aufständischen, durch einen Überfall auf die Hauptwache und die Konstablerwache in Frankfurt am Main eine allgemeine Revolution in Deutschland auszulösen. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Wachensturm)
Aber sie sind ein kläglich Fahrzeug zwischen der Scylla und Charybdis, nicht das Volk, nicht die Fürsten wollen die Herrschaft mit ihnen theilen.
Anmerkung: Scylla und Charybdis bezeichnen eine Meerenge, erwähnt in Homers Odysee; http://de.wikipedia.org/wiki/Charybdis)
Seit Ludwig XIV. haben die Fürsten jene unbequemen Vasallenrechte in Vergessenheit gebracht, und die Mediatisirung der kleinen Souveraine auf dem Wiener Kongresse war nicht der kleinste Sieg der größeren Souveraine. Seit der Herrentragischen vierten Augustnacht zu Paris sind sie auch bei der andern Partei mit der Todesstrafe belegt – sie sind der einzige unglückliche Punkt, über dessen Begräbniß die Fürsten und Völker eines Sinnes bleiben.

Es war schon gegen Abend, als ich nach Regensburg kam, und ich eilte gleich von dem Postwagen nach dem Dome der jetzt die größte Merkwürdigkeit von Regensburg ist. Reell sah er mich an mit seinen hohen steinernen Mauern und Pfeilern. Man kommt sich ärgerlich klein vor im Angesichte eines solchen mittelalterlichen schweigenden Gebäudes. Aecht christlich, zur Demuth niederbeugend, ist der Anblick der alten Dome.
Sie sind so breit und massiv und ohne alle moderne Renommisterei, daß man ihre lastende, gebieterische Größe und Gewalt erst empfindet, wenn man dicht vor ihnen steht.
Lauter kleine Einschnitte und Vertiefungen strecken sich unendlich lang an der Facade in die Höhe, und in kleinen Nischen unter zierlichen gezackten Schutzdächern stehen putzige Könige und Frauen und Bischöfe, die in der Nähe ganz artig groß sein mögen. Krauser als die Wellen des Meeres laufen die mannigfachen steinernen Schnörkel bis an den Giebel hinauf, wie die tausend kleinen Gesetze und Verbote des Christenthums – man sieht solch' einem Dome die ganze Muße des Mittelalters an, wo ein einziger Mensch sein halbes Leben an solch' einem kleinen steinernen Bischofe, an solch' einer Reihe Schnörkel arbeiten mochte, die man beide niemals in der Nähe sah.

Drinnen im Dome war es schon mittelalterlich dunkel, und ich glaubte die langen und langweiligen Gesichter und Gestalten der alten Reichstage in den Seitengängen hin und herziehn zu sehn. Die blau und roth gemalten Fenster fielen wie matter, romantischer Karfunkel in das hohe Schiff der Kirche, ich dachte an des Ofterdingens »blaue Blume« und setzte mich auf eine steinerne Stufe.
Es muß doch auch schön gewesen sein damals, wo man nichts zu denken brauchte, sondern so träumerisch vor sich hin lebte, und sanfte Mädchen mit niedergeschlagenen Augen küßte, und schwermüthige, wellenweiche Lieder summte, und wo es keine Polizei und keine Recensenten gab.
Wenn Einem die Poesie ausging, da trat er in solch' einen Dom, denn solch' ein hoher Dom ist ein himmelhoher poetischer Gedanke, vor dem man sich beugt, wenn man bedenkt, daß die Menschen oft ein halb Jahrhundert diesen einen, einzigen Gedanken haben mußten, um ihn fertig zu bauen. Welche Erhabenheit in dieser Armuth – und in diesen Worten liegt ein Mittelalter.
Neben mir war ein unermeßlich tiefer Brunnen, grundlos tief wie die Gnade; der enthielt lauter heiliges Wasser. Hier konnten, gleich einer ganzen Heerde, die Sünden abgeschwemmt werden. Die guten Schäflein; man möchte lächeln, wenn es die Rührung zuließe.
Alles ringsum war Stein – und wenn draußen an der Donau der Eine dem Andern den Schädel eingeschlagen, und wenn er den nun unnützen Körper in's Wasser gestoßen hatte, so ging er hierher in den Dom, und nach einigen steinernen Stoßgebeten war's so gut, als ob nichts geschehen sei. Wahrlich, die katholische Religion ist die größte Künstlerin, ihre Theater, das sind die Dome, sind an Effekt noch unübertroffen.

Ich setzte mich auf eine Altarstufe und stützte mein Haupt in die Hand, und ließ es weben und schweben und träumen und fliegen in mir mit blau roth und gelben Farben in der geheimnißvollen steinernen Stille.

Der Starost ging sporenklirrend scheußlich modern an mir vorüber, und warf die entsetzliche Aeußerung hin, es ennüyire ihn, daß er hier keine Cigarre rauchen dürfe.
(Anmerkung: Starost ist so etwas wie ein Aufseher, Vorsteher, eine Amtsperson, siehe Wikipedia-Eintrag; und ennüyiren ist wohl ennuyieren, also anöden, ärgern, langweilen, von französisch ennui)

Der Mensch kam mir wie ein Druckfehler vor; es ist ein Vergehen, in einem Dome das Wort »ennüyiren« auszusprechen, es ist ein Verbrechen, nach einer sündhaften Cigarre zu verlangen. Ich verabscheute den Heiden und ging weiter, und versank immer tiefer und tiefer in das Dunkelblau des Ritterthums, aus welchem geheimnißvoll die blanken Rüstungen glänzten, und die langen weißen mysteriösen Frauengewänder schimmerten; ich hörte hoch in der Luft die ernste, heilige Glocke summen – Maria, o lateinische Maria, wo bleibst Du, sagte ich halb singend vor mich hin.

Da fühlte ich wirklich eine weiche Hand auf meinem Haupte, und hörte die Worte: Stehen Sie auf vom Altar, der Vater läutet die Vesperglocke.

Bist Du's wirklich, Maria – »Ja,« sprach das Echo.

Es war ganz dunkel im Dom, ich faßte ihre Hand, und mein Herz segelte im Schiff der Kirche mit Liebesgedanken umher.

»Bitte, stehen Sie auf,« sagte Maria, »die Leute kommen zur Vesper.« – Warum, entgegnete ich, warum, Maria, sprichst Du in solch' feierlichem Augenblicke nicht »Du« zu mir?

Ach, darauf erwiderte mir das katholische Mädchen, sie heiße gar nicht Maria, sondern Veronica, und sie kenne mich nicht, deshalb dürfe sie mich nicht dutzen.

O, Novalis mit der »blauen Blume;« es war ein ordinaires Mädchen, was ein Trinkgeld dafür haben wollte, daß sie mich statt des Küsters geweckt hatte, was mich in aller Eile darauf aufmerksam machte, daß die Orgel von Holz sei, und die gemalten Fenster zum Theil ganz neu von München gekommen wären.

Dieses Mädchen kostete mich ein Trinkgeld und eine Stunde Mittelalter, und jetzt sagte ich selbst zum Starost: Lassen Sie uns eine heidnische Cigarre rauchen, das Mittelalter ist undankbar.

-  Wir suchten uns das Rathhaus, wo die Reichstage gehalten worden sind. Durch schiefe, kleine Gassen, eng wie Korridore, kommt man hin, und wenn man vor'm Rathhause steht, so fragt man einen Vorübergehenden, wo das Rathhaus sei, in welchem die großen Reichstage gehalten worden sind. Es ist nämlich ein kleines verschobenes Gebäude mit grämlich verzogenen Fenstern.

Die Alten brauchten wenig Raum zum Reden, ein Wort und drei Thaten, und das nennt man thatsächlich, jetzt heißt's: drei Worte und noch keine That, und das nennt man civilisirt. Die rohe That tritt allerdings immer mehr zurück bei der Civilisation. Aber es ist die Sorge, welche den Schriftstellern obliegt, daß die schnelle, schöne, frische That nicht vergessen werde.

Uebrigens denkt man sich die Römer und die Ritter und die alten Städte so ungeheuer, und irrt sehr. Weil sie weit entfernt sind, vergrößert man sie ungebührlich, denn die Entfernung der Zeit wirkt entgegengesetzt von der Entfernung des Raumes: eine entfernte Zeit macht groß, ein entfernter Raum klein. Die großen Rüstungen, welche man der Rarität halber aufbewahrt hat, die Heldengedichte und die Romanschreiber haben auch das Ihrige gethan.

Man klagt jetzt darüber, daß wir keine Heldengedichte haben, Heldengedichte hat nur eine uncivilisirte oder halbcivilisirte Nation. Mit den ausgebildeten Fähigkeiten schwinden die Wunder. Eine beginnende Poesie bedarf aber der großen Massen, der kolossalen Formen, der Uebertreibung; daher haben wir so thurmhohe Vorfahren erhalten, und den Romanschreibern ist alles Excentrische willkommen: je größer der Ruprecht, desto mehr erschrecken die Kinder. So sind wir zu der Idee von riesenhaften Menschen gekommen, welche vor uns gelebt haben.

Ein breit geharnischter, kolossaler Ritter, wie er uns geschildert wird, kann wahrlich manche Straße Regensburgs gar nicht passiren.

Indeß darf das Abläugnen jener großen Körper nicht allzu weit getrieben werden: Wie wir den Geist pflegen, so pflegten sie damals den Körper, und Dummheit macht groß und stark, der Leib ist ein Feind des Geistes, lehrt schon das Christenthum; wer wenig denkt, isst viel.

Ferner lebten die Leute einfacher, und aßen keine komplicirten Speisen voll Gewürz und Erschlaffung. Roland wäre nicht Roland geworden, hätte er viel Gänselebern von Straßburg verspeis't.

Ein altes Hautrelief am Regensburger Rathhause wird allen Fremden gewiesen. Ein ungarischer Ritter und ein verurtheilter Bürger werden dargestellt. Der Ritter ist geharnischt, und der Bürger nur mit einer Keule bewehrt, schlägt aber den Ritter todt. Das Gebilde versinnlicht den alten Reichsbürgerstolz, welcher der erste Kämpe war gegen den Adel.

(Anmerkung: Hautrelief wird Ho-Relief gesprochen, also das französische haut = hoch. Hautrelief ist ein Fachausdruck für Hochrelief, ein besonders tief gehauenes Relief. Wusst ich auch nicht, aber wikipedia ist mein Freund.)

In der Regens-Burg ließen wir auch den Regen gefangen zurück, und bei einer schimmernd hereinbrechenden Nacht fuhren wir hinauf gen Landshut und München.
... (Anmerkung: die restlichen drei Absätze betreffen Landshut und München)

Quelle:
Projekt Gutenberg-DE - SPIEGEL ONLINE
http://gutenberg.spiegel.de/buch/6501/4