Dieses Lesestück aus dem historischen Sagenbuch betrifft den hl. Emmeram, der ca 600-650 lebte. Das Sagenbuch stammt aus 1852 : Schöppner,
Alexander, Sagen, Sagenbuch der Bayerischen Lande, Zweiter Band, 556.
556. Wie der hl. Emmeram einen Greis von der Sünde führte
Ein
frommer und kluger Mann wurde auf seiner Reise zum Grabe des heiligen
Emmeram im Wald von Langwaid von Räubern gefangen, außer Landes geführt
und an das Volk der Franken verkauft.
Einer von diesen,
der ihn erkauft hatte, verkaufte ihn wieder an Jemanden in den
nördlichen Theilen des Volkes der Thüringer, der an der Gränze des Volks
der Parathanen wohnte, die Gott nicht kennen.
Seinem
Herrn diente der Greis treu und eifrig. Er war ein Zimmermann und
Mühlarzt und erwarb sich durch seine Geschicklichkeit die Gunst seines
Herrn. So wirkte er drei Jahre lang nach Kräften. Da fügte sich's, daß
einer seiner Mitknechte starb, der eine junge, schöne und kinderlose Wittwe hinterließ.
Nun
befahl der Herr dem Greise, die Wittwe zu ehelichen. Dieser weigerte
sich aus dem Grunde, weil er zu Hause schon eine Frau habe, und bei
deren Lebzeiten keine andere ehelichen dürfe. Deßhalb eröffnete ihm sein
Herr mit listigen und strengen Worten: »Wirst du sie nicht zum Weibe
nehmen, so soll mir Gott dies und jenes zufügen, wenn ich dich nicht dem
Volk der Sachsen ausliefere, welches noch so sehr dem Götzendienste
ergeben ist.«
Der Herr gedachte ihn durch diese Heirath
noch mehr zu fesseln, und der allenfallsigen Flucht des so brauchbaren
Knechtes vorzubeugen. So stritten sie täglich mit einander, und der
Greis begriff wohl, daß er seines Herrn Macht und Befehl nicht verachten
dürfe, weil man ihn sonst als Gefangenen an die Heiden abgeliefert
haben würde, deren Leben er, wie er aus der Nachbarschaft wußte, wie den
Tod fürchtete. Er willigte also nothgedrungen in die vom Herrn
gewünschte Heirath.
In der Hochzeitnacht, als sich das
Weib unwillig über seine Ermahnungen von ihm abgewendet und
eingeschlummert war, bat der Greis Gott um Hülfe. Im Schlafe erschien
ihm St. Emmeram, und befahl ihm, wie er gelobt, zu St. Emmeram's Kirche
sich zu begeben.
»Wie werde ich,« antwortete er, »ohne
Nahrungsmittel so viele unbekannte Länder durchwandern?« – »Steh auf,«
sagte der Heilige, »zögere nicht, sondern nimm im obern Zimmer ein Brod,
es wird bis zur Vollendung der Reise genügen.«-
Der
Greis that, wie ihm befohlen, und ging mit seinem Gewande angethan und
mit seiner Axt von dannen. Seine Schritte lenkte er auf die Wüste eilig
zu, ohne Unterlaß Gott bittend um eine glückliche Reise durch die
Verdienste des seligen Märtyrers.
Fünfzehn Tage lang
führte ihn Gott wohlbehalten und sicher, und gesättigt und gestärkt
durch das eine Brod dergestalt, daß er um die dritte Stunde jenes
fünfzehnten Tages auf dem Berge oberhalb der Weinpflanzung stand, die
bekanntlich zwischen der Donau und dem Regen gelegen ist.
Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 109-110.
Weitere Kapitel aus dem Buch folgen.