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Sonntag, 23. Juni 2019

Der Regensburger Dom Teil 6 - die Türme im Detail

Weiter geht es in dieser Serie, diesmal mit Details zu den oberen Türmen bzw. Turmspitzen.

Mit Hilfe von Teleobjektiv und 3D-Modellen erkunde ich mit Ihnen diesen Bereich, den wir sonst nur undeutlich sehen, wenn wir wieder mal unten vor dem Heuport sitzen (sei es auf der kostenlosen Bank oder einem kostenpflichtigen Freisitz).


Was mir erst nach vielem Lesen klar wurde ist, dass beim Turmausbau nicht nur die eigentlichen Spitzen aufgesetzt wurden, die man fachmännisch "Turmhelme" nennt, sondern auch zunächstmal ein zusätzliches Geschoß aufsetzte, das achteckig ist und deshalb "Oktogongeschoß" genannt wird.

Da das achteckige auf eine viereckige Plattform gesetzt wurde, bleibt an den Ecken Platz für zusätzliche Streben bzw. Pfeiler, die dort platziert wurden. Die wiederum sind nicht im rechten Winkel zur Gesamtanlage, sondern quer gesetzt, also mit den Kanten Richtung Turmmitte, und die Seiten der Streben sind nach innen gewölbt, so dass dort Platz für Heiligenfiguren sind.





Im Modell allerdings falsch dargestellt: die Eckpfeiler sind eigentlich um 45 Grad verdreht, so wie der Treppenpfeiler.


Die  vier Eckpfeiler pro Turm überlappen sich mit den aufstrebenden Pfeilern der darunterliegenden Geschoße, was eben typisch für diesen "gotischen" Baustil ist - und bei näherer Betrachtung schon Bewunderung verdient.

Dieser Übergang von viereckiger Plattform zu achteckigem Turm mit vier Eckpfeilern macht diesen Bereich filigran - wenn man den Dom "schräg" ansieht.

Vielleicht ist Ihnen das schon mal aufgefallen, dass bei manchen anderen Standorten die Domtürme plötzlich viel luftiger (eben filigraner) wirkt, weil die Eckpfeiler gesondert erkennbar sind? Wenn man den Dom dagegen von einer der vier Seiten ansieht, dann verschmilzt das alles und die Türme wirken wuchtig.  Ich zeige ein paar Fotos, die ich im Laufe der Jahre schoss, als Beispiele:


der Dom von Südwest

der Dom von Nordwest



Der Dom "frontal", von Westen. Die Eckpfeiler werden nicht deutlich, die Türme wirken wesentlich kompakter




Die Heiligenfiguren, die an den Eckpfeilern angebracht wurden, sind wichtiger Bestandteil des Ganzen. Sie sind künstlerisch von Wert und damals bei drei Bildhauern in Auftrag gegeben.

Nebenher hat man auch die Heiligenfiguren an der Fassade des schon vorhandenen darunterliegenden "Obergeschoßes" neu belegt.

Die Heiligenfiguren im Oktongeschoß sind von unten aus eigentlich nur mit Fernglas oder Teleobjektiv sichtbar - eigentlich schade für den Aufwand, den man damals gemacht hat (und es gab auch ernsthafte Diskussionen und Streit um einzelne Figuren).

Obwohl die Figuren sowieso schon in schwindelnder Höhe stehen, wurden sie auch noch auf runde Säulen gesetzt, so dass nur wirklich höhenangstfreie Heilige hin durften (welche das sind, steht übrigens ausführlich in dem Buch von Fuchs, das ich schon in Teil 5 dieser Serie erwähnte).


Aufnahmeort: Turm der Dreieinigkeitskirche

Die Heiligen, auf Säulen stehend



Anhand des Buchs von Fuchs identifiziert




Der Blick vom Domplatz aus zeigt den sonst kaum sichtbaren (nach "innen" gerichteten) 
Heiligen am südlichen Pfeiler des Nordturms

Soweit erinnerlich, fotografierte ich hier von der Dachterasse der Galeria Kaufhof aus






Im Gegensatz zu den unteren Bereichen der Westfassade, die über die vielen Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Baustilen unsymmetrisch gefasst wurde, sind die oberen Türme (also Oktongeschoße und Turmhelme) absolut einheitlich - schön sichtbar an folgendem Foto.


Diese Einheitlichkeit war nicht selbstverständlich und es wurde damals diskutiert, den mittelgotischen Stil des rechten Turms und den spätgotischen Stil des linken (nördlichen) Turms oben fortzusetzen. Man hat sich aber dagegen entschieden. Für Kunsthistoriker und Kenner ergibt sich das kuriose Bild, dass auf einem spätgotischen Obergeschoß ein frühgotischer Aufbau folgt.

Schräg von unten sieht der obere Bereich so wie in folgenden Bildern aus, die ich zu Weihnachten 2012  angefertigt hatte.


Natürlich müssen auch hier viele Wasserspeier dafür sorgen, dass das Regenwasser abläuft und nicht das Gebäude zerstört. Wie üblich in Romanik und Gotik sind die Wasserspeier als dämonenartige Fabelwesen konzipiert (siehe meinen Aufsatz "Gargoyles am Regensburger Dom") und in dieser Funktion sind sie Beschützer des Doms



Gargoyles und Heilige, friedliche Koexistenz















Auch die Heiligenfigruen im darunterliegenden "Obergeschoß" wurden im Rahmen des Ausbaus (1859 bis 1869) neu konzipiert, in Auftrag gegeben und installiert.






Die Turmhelme -  Maßwerk, Krabben und Kreuzblumen


Kommen wir jetzt zu den eigentlichen "Turmspitzen", den Turmhelmen. Die sind sehr luftig, denn sie sind aus "Maßwerk" gemacht, und sie sind sehr unregelmäßig, denn sie sind mit "Krabben" verziert.





 Maßwerk, so nennt man das aus geometrischen Formen gebildetes Ornament, das man auch an Fenstern und an Balustraden  sieht. Die Turmspitze besteht nur aus solchem Maßwerk statt aus geschlossenen Platten. Die geometrische Formenvielfalt ist ein interessantes Thema für sich (siehe Wikipedia-Artikel über Maßwerk)









 
Maßwerk wird ferner an Balustraden verwendet

Maßwerk als Balustrade

und fast an jedem gotischen Fenster, wobei  es dem Fenster Stabilität verleiht.


 
Maßwerk im Fenster



Krabben sind das zweite typische Element der Gotik. Krabben sind aus Stein gemeißelte, faltig verbogene Blätter - als wenn sich Pflanzen hochranken würden:  Knospen und Blattknäueln oder blattförmig verzierten Knollen.


Sie werden an Turmspitzen verwendet, ferner auf Giebeln und an den vielen kleinen Streben bzw. Pfeilern (Fialen), die ein gotisches Bauwerk hat. Aus der Nähe sind das menschengroße Elemente - sehen Sie mal in die noch laufende Ausstellung in der Ulrichskirche!




Krabben am Turmhelm


Krabben ranken sich auch an den Spitzen der vielen kleineren "Türmen", auf, den vielen Streben und Pfeilern, die man "Fialen" nennt. Dort sind die Krabben einfacher gearbeitet.







Im Zuge anhaltender Reparaturmaßnahmen mussten 1915/16 die Krabben an den Helmrippen des Regensburger Doms entfernt werden (Quelle); gelegentlich lese ich aber, dass die Krabben schon 1914 entfernt wurden). In den 1950er Jahren verhinderte ein in der Regensburger Dombauhütte entwickeltes Kunststeinverfahren, dass die Helme selbst abgebrochen werden müssen. Zwischen 1954 und 1957 wurden sie mit dauerhaftem Splitt-Beton ummantelt und erhielten auch wieder ihre Krabben. 

Diese "krabbenlose Phase"der Domtürme hilft oft, bei älteren Stadt-Fotos die Datierung einzugrenzen.

Genau genommen gibt es folgende Hilfe bei der Datierung alter Fotos:
  • ohne Turmhelme: vor 1860
  • Mit Turmhelmen, aber mit barockem Dachreiter: vor 1880
  • Mit Turmhelmen, aber mit spitzem Dachreiter: nach 1880
  • Mit glatten Turmhelmen (also ohne Krabben) aber mit der Petrusfigur auf dem First überm Altar: nach 1910 aber vor 1914
  • Glatte Turmhelme, ohne Blechpeterl: nach 1914, vor 1950
  • mit Krabben nach dem Weltkrieg: ab 1958
  • 1958/1959/1960: Krabben sind noch hell bzw. weiß, werden dann immer schmutziger
  • 1960 Gerüst am Südturm


Die Kreuzblume

Die Spitzen von Türmen (also von den großen Turmhelmen wie auch von den kleinen Fialen) werden normalerweise mit einem Abschlussstein gekrönt, den man "Kreuzblume" nennt

Von oben betrachtet ist sie quadratisch und in seitlicher Ansicht ist sie kreuzförmig. Sie scheint knaufartig aus Knospen und Blättern geformt zu sein.

Von unten unscheinbar, sind die Dinger in Wirklichkeit riesig, mehrere Meter groß. Sind Sie schon mal an einer Kreuzblume vorbeigegangen? Gut möglich, wenn Sie mal im Domgarten waren. Und da steht eine ausgetauschter alte Kreuzblume.

Kreuzblume im Domgarten (bzw. auf dem Gelände der Dombauhütte)

Kreuzblume am Regensburger Dom






Im 3d-Modell natürlich nur stilisiert darstellbar

Nun, liebe Computerfreaks, das wäre doch mal eine Herausforderung: ein 3D-Modell der Regensburger Kreuzblume. Grundsätzlich ist das möglich, so eine Konstruktion - siehe hier



Auch an den kleinen Fialen (Türmchen) sind Kreuzblumen üblich:





eine Vielzahl von Krabben und Kreuzblumen



Die Vierung

Ein Teil der Ausbauarbeiten in 1859 bis 1869 betraf auch die Vierung. Lange hatte man diskutiert, ob man an dieser quadratischen Kreuzungsstelle von  Hauptschiff und Querschiff eine Vierungs-Kuppel errichten sollte, wie es viele Kirchen haben. Aber man beließ es bei einem kleinen Dachreiter, ähnlich wie dem auf dem Notre Dame. Das gehörte zu den dramatischsten Szenen: als der brennende Vierungsdachreiter abbrach.



Weitere Bilder von den Domtürmen




Dom, von Dreieinigkeitskirchturm aus fotografiert



Was natürlich ein Thema für sich wäre: die Westfassade im unteren Bereich und vor allem der Eingangsbereich mit dem dreieckigen Dach, das so genannte Hauptportal. Aber das kann ich hier nicht unterbringen.

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