Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Mittwoch, 3. Juli 2019

Das ist die ausführliche Pressemitteilung zum Urteil zu Wolbergs

Oh, das ist jetzt schwer zu vermitteln. Der OB Wolbergs wurde zwar in zwei Fällen der Vorteilsannahme für schuldig gesprochen, erhält aber keine Strafe. Nicht weil das so gering gewesen wäre, sondern weil er in einem so genannten "Verbotsirrtum" (§ 17 STGB) gehandelt hat.

Das geht aus der Pressemitteilung hervor, und die habe ich gesucht, nachdem mir alle durchgesehenen Zeitungsmeldung viel zu oberflächlich waren. Da hieß es immer nur: schuldig, aber ohne Strafe. Warum, fragt sich da der Jurist!?

Daher habe ich hier die PM auch in vollem Wortlaut übernommen und nachstehend abgedruckt. Aber vorher schnell eine Erklärung für den Laien:

Was ist Verbotsirrtum? Wenn jemand glaubt, korrekt zu handeln aber nicht weiß, dass er einen Tatbestand aus dem Strafgesetzbuch verwirklicht.

Dass Wolbergs ohne Arglist in die Strafbarkeitsfalle tappte, habe ich schon befürchtet. Denn ich habe die wirklich denk- und merkwürdigen zwei Urteile des BGH (Bundesgerichtshofs) zur Stuttgarter Parteispendenaffäre, die jedes Gericht beachten muss, wenn es Vorteilsannahme prüft,  ziemlich intensiv studiert.

Und mit der strengen Ansicht des BGH  reicht es, wenn jemand im Wahlkampf Spenden annimmt und nicht bemerkt, dass er den Anschein erweckt, dass der andere dadurch irgendwelche Vorteile erhalten wird. Dass dem OB das nicht bewusst war, ergab sich aus den abgehörten Telefonaten, wo er einfach nicht verstand,warum ihm Bestechlichkeit oder Vorteilsannahme vorgeworfen wird - er habe doch niemand etwas als Gegenleistung versprochen Wenn man mal davon ausgeht, dass er nichts von der Abhöraktion wusste (und nicht schauspielerte), dann kann man davon ausgehen, dass er niemand was versprochen hat - und trotzdem in die Strafbarkeitsfalle getappt ist, die seit den genannten BGH-Urteilen für alle Wahlkämpfe in größeren Städten existiert (von einem "Skandal", wie es die Medien voreilig und journalistisch inkorrekt formulierten, kann also keine Rede sein)

Dass er also verurteilt wird, weil die Richter nach genauer Sichtung von einem Anschein ausgehen,  hatte ich schon befürchtet - wie gesagt. Dass  das Gericht mit Verbotsirrtum ( § 17 StGB) arbeitet, damit hatte ich allerdings nicht gerechnet.

In keinem Gespräch mit Juristenkollegen kamen wir auf diese Idee. Eher diskutierten wird, ob die BGH-Ansicht einfach falsch ist, weil hier Fahrlässigkeit in Vorsatz umgewandelt wird, indem der "Anschein" aus objektiver statt subjektiver Sicht bewertet werden soll (nein, das erkläre ich jetzt nicht näher). Jedenfalls eine interessante Wendung. Ob die Staatsanwaltschaft hier in Berufung gehen wird? Würde mich nicht wundern, so wie sie bisher aufgetreten ist. In dem Urteil wird die Staatsanwaltschaft übrigens  nochmal richtig heftig gerügt. Aber das war für den informierten Pressebeobachter zu erwarten.

Hier ist also die Pressemitteilung:

 

Pressemitteilung 7/2019 vom 03.07.2019

Urteil im Strafverfahren gegen Joachim Wolbergs, Volker Tretzel, Franz W. und Norbert Hartl

Landgericht Regensburg sieht nach Freispruch in allen bis auf zwei Anklagepunkten von Strafe gegen Joachim Wolbergs ab, Volker Tretzel und Franz W. erhalten Bewährungs-/Geldstrafen, Norbert Hartl wird freigesprochen

Am 60. Tag der Hauptverhandlung hat das Landgericht Regensburg das Strafverfahren gegen den Oberbürgermeister der Stadt Regensburg Joachim Wolbergs, den Bauträger Volker Tretzel, dessen früheren Mitarbeiter Franz W. und den Stadtrat Norbert Hartl erstinstanzlich abgeschlossen. In ihrem Urteil vom 3. Juli 2019 gelangte die Wirtschaftsstrafkammer zu der Überzeugung, dass Joachim Wolbergs lediglich zwei Fälle der Vorteilsannahme im Zusammenhang mit den Parteispenden der Jahre 2015 und 2016 (insgesamt rund 150.000 Euro) anzulasten sind und er in allen übrigen Anklagepunkten freizusprechen ist.


Der verbliebene Schuldvorwurf relativierte sich erheblich durch die Feststellung, dass der Oberbürgermeister stets im Glauben an die Zulässigkeit der Spenden und damit in einem, wenn auch vermeidbaren, Verbotsirrtum gehandelt hatte. Neben den für ihn besonders nachteiligen Verfahrensfolgen war dies einer der Hauptgründe, warum das Gericht von Strafe absah. Für eine Verurteilung insbesondere wegen Bestechlichkeit oder Annahme privater Vorteile hatte die Kammer trotz intensiver Sachverhaltsaufklärung keine Grundlage gefunden. Das Entlastungsvorbringen von Joachim Wolbergs, der sich zu jeder relevanten Beweisfrage ausführlich erklärt hatte, stufte sie in vollem Umfang als glaubhaft ein.

Spiegelbildlich zur Beurteilung bei Joachim Wolbergs wertete das Gericht die Parteispenden der Jahre 2015 und 2016 in Bezug auf Volker Tretzel als zwei Fälle der Vorteilsgewährung. Da der Bauträger nach den getroffenen Feststellungen im Gegensatz zum Oberbürgermeister mit Interna der Bauteam Tretzel GmbH (BTT) vertraut gewesen war, aus denen hervorging, dass zumindest teilweise Strohmannspenden geleistet wurden, nahm die Kammer bei ihm zusätzlich fünf Fälle des Verstoßes gegen das Parteiengesetz für die Rechenschaftsjahre 2011 bis 2015 an. Seinen Mitarbeiter Franz W. sah das Gericht wegen dessen maßgeblicher Beteiligung an der Organisation der Spenden bis zum Ausscheiden aus der Firma BTT im Jahr 2015 als Mittäter der fünf Verstöße gegen das Parteiengesetz und der ersten von beiden Vorteilsgewährungen an. In der Konsequenz erachtete die Kammer, auch unter Berücksichtigung der einschneidenden Verfahrenswirkungen, für Volker Tretzel eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung und 500.000 Euro Geldauflage, für Franz W. eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 25 Euro als angemessen. Norbert Hartls Freispruch resultierte daraus, dass in den für ihn bedeutsamen Sachverhaltskomplexen (Jahn Regensburg und Nibelungenkaserne) keine beihilfefähige Verfehlung von Joachim Wolbergs festgestellt wurde.

Eine Kurzübersicht der wesentlichen Urteilsfeststellungen ist dieser Pressemitteilung als Anhang beigefügt. Nähere Einzelheiten werden nach Abschluss der mündlichen Urteilsbegründung im Rahmen einer Ergänzung dieser Pressemitteilung voraussichtlich am 4. Juli 2019 bekannt gegeben.


Thomas Polnik
Vorsitzender Richter am Landgericht
Pressesprecher


Anhang


                                                       Wesentliche Urteilsfeststellungen

Joachim Wolbergs

Joachim Wolbergs sind lediglich zwei Fälle der Vorteilsannahme im Zusammenhang mit den Parteispenden der Jahre 2015 und 2016 (insgesamt rund 150.000 Euro) anzulasten.

Erkennungsmerkmale für den strafbewehrten Anschein der Käuflichkeit waren die Höhe der Spenden und seine dienstlichen Berührungspunkte mit der Firma BTT.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Joachim Wolbergs von Strohmannspenden der Firma BTT wusste oder mit Strohmannspenden rechnete.

Neben den beiden Vorteilsannahmen fällt Joachim Wolbergs aufgrund dieses Wissensdefi-zits kein zusätzlicher Verstoß gegen das Parteiengesetz zur Last.

Die Spenden aus seiner Amtszeit als dritter Bürgermeister (2011 bis 2014) führen nicht zu Vorteilsannahmen, weil er mit Belangen der Bauwirtschaft damals nicht befasst war.

Auch für eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit oder Annahme privater Vorteile sieht das Landgericht Regensburg keine Grundlage.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Joachim Wolbergs eine Dienstpflichtverletzung begangen oder sich hierzu bereit erklärt hat.

Dass Joachim Wolbergs bewusst Vergünstigungen bei Wohnungskäufen oder Renovierungen in Anspruch genommen hätte, hat die Beweisaufnahme nicht bestätigt.

Die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Sparkassenkredit und den Kapitalerhöhungen bei der SSV Jahn KGaA haben sich als weitgehend substanzlos erwiesen.

Joachim Wolbergs‘ Einlassung in der Hauptverhandlung stuft die Wirtschaftsstrafkammer in vollem Umfang als glaubhaft ein.

Der verbleibende Schuldvorwurf relativiert sich erheblich dadurch, dass Joachim Wolbergs im Glauben an die Zulässigkeit der Spenden handelte (Verbotsirrtum).

Sein Verbotsirrtum wäre durch Einholung von Rechtsrat vermeidbar gewesen, mindert die persönliche Vorwerfbarkeit aber stark (gesetzlicher Milderungsgrund).

Die nachteiligen Verfahrenswirkungen haben Joachim Wolbergs so schwer getroffen, dass eine Bestrafung offensichtlich verfehlt wäre.

Das Spektrum der Beeinträchtigungen erstreckt sich auf alle in der Hauptverhandlung beleuchteten Lebensbereiche von Joachim Wolbergs.

Besonders negativ hat sich seine Inhaftierung ausgewirkt, für deren Anordnung beim heuti-gen Stand der Erkenntnisse kein Raum gewesen wäre (vorläufige Suspendierung).


Volker Tretzel

Spiegelbildlich zur Beurteilung bei Joachim Wolbergs stellen die Parteispenden der Jahre 2015 und 2016 für Volker Tretzel zwei Fälle der Vorteilsgewährung dar.

Volker Tretzel war anders als Joachim Wolbergs mit Interna der Firma BTT vertraut, aus denen hervorging, dass teilweise Strohmannspenden flossen.

Diese Einblicke führen bei ihm zu einer Strafbarkeit auch wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz in fünf Fällen (Rechenschaftsjahre 2011 bis 2015).

Der Annahme eines Verbotsirrtums steht zudem entgegen, dass Volker Tretzels Spendenmotivation von Geschäftsinteressen geprägt war (politische Klimapflege).

Die Summe der Strohmannspenden (rund 277.000 Euro) war jedoch deutlich geringer als das Gesamtaufkommen der Spenden (rund 475.000 Euro).

Auch Volker Tretzel hat Untersuchungshaft aufgrund von Verdachtsmomenten erlitten, die in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilbereichen entkräftet worden sind.

Er und die Firma BTT waren außerdem vorübergehend mit einem Vermögensarrest in Millionenhöhe belegt, der sich als nicht gerechtfertigt herausgestellt hat.


Franz W.

Das Landgericht Regensburg sieht Franz W. wegen seiner maßgeblichen Beteiligung an der Organisation der Spenden als Mittäter von Volker Tretzel an.

Da er 2016 bereits aus der Firma BTT ausgeschieden war, fällt ihm nur ein Fall der Vorteilsgewährung (Parteispenden aus dem Jahr 2015) zur Last.

Hinzu kommen, wie bei Volker Tretzel, fünf Fälle des Verstoßes gegen das Parteiengesetz (Rechenschaftsjahre 2011 bis 2015).

Franz W. war am stärksten von grundrechtswidrigen Datenspeicherungen und Gesprächsaufzeichnungen bei der Telekommunikationsüberwachung betroffen.

Auch bei ihm beruhte die Untersuchungshaft auf mittlerweile in wesentlichen Teilbereichen entkräfteten Verdachtsmomenten und hat zum Verlust seiner Anstellung geführt.


Norbert Hartl

Norbert Hartls Freispruch resultiert daraus, dass in den für ihn bedeutsamen Sachverhalts-komplexen keine beihilfefähige Tat von Joachim Wolbergs festgestellt wurde.