In diesem Zusammenhang fand ich kürzlich etwas Witziges: einen wunderbaren Aufsatz auf dem ebenso wunderbaren Portal "heimatforschung-regensburg".
In diesem Aufsatz geht es um die Entwicklung des Radfahrens in Regensburg, über die Anfänge, die Vereine, das Velodrom und mehr. Garniert mit herrlichen alten Fotos, die ich bis dahin noch nicht gesehen habe.
Und dort las ich erstaunt, dass in den 1880er Jahren die gleichen Probleme auftauchten, wie heute mit e-Scootern und in der lokalen Zeitung diskutiert wurden. Da gab es Unfälle auf den Straßen, in der Lokalzeitung regten sich die Leute über diesen neumodischen Sport auf, und als 1891 ein Kutscher ein paar überholende Radfahrer in den Graben drängte, wurde er nur deshalb freigesprochen, weil es keine polizeilischen Ausweichvorschriften in der Straßenverkehrsordnung gab. Die war erst 1879 erlassen worden, sah aber Fahrräder nicht vor.
Aber zunächst: der Aufsatz stammt aus 2017, erschien in der Reihe der "Verhandlungen des historischen Vereins" und heißt:
Von Kunstfahrern, Radfahrer-Consuln und Roten Radlern
Regensburger Fahrradgeschichte bis zum Ersten Weltkrieg
Von Norbert Stellner
https://www.heimatforschung-regensburg.de/2862/11/10-Stellner-211-250.pdf
Das Fahrrad als Störenfried-Vorläufers des e-Tretrollers
In den 1880er Jahren tauchte das (1861 erstmals mit Pedalantrieb erfundene) Fahrrad immer öfters auch in Regensburg auf.
Zunächst aber war es ein Störenfried. In der erst kurz zuvor erlassenen Verkehrsordnung gab es das "Veloziped" (auch "Velociped" oder "Pedal-Veloziped") nicht. Da war die Rede von Fußgängern, Reiter und Fuhrwerken. Die Radfahrer wussten selbst nicht, wo sie fahren durften und wie. Und der Aufsatz zitiert Artikel aus der örtlichen Zeitung (hier dem "Regensburger Anzeiger"), z.B. im Juli 1883:
„Regensburg, 13. Juli. Vorgestern Abends ist auf dem Kasernplatz eine alte Frau von einem Velocipedisten überfahren worden. Der Velocipedsport auf den Strassen und Plätzen der Stadt ist eine Liebhaberei, mit welcher man im Interesse der Sicherheit der Person keineswegs einverstanden sein kann.
Geschieht die nächtliche Fahrt ohne Laterne und Glocke, so bildet dieselbe eine Gefahr für die Passanten der Strasse, wie der Vorfall vorgestern Abends beweist. Eine ortspolizeiliche Vorschrift wäre auch für diesen Sport dringend am Platze.“Und eine Monat später gab es wieder eine Meldung:
„Seit wann und mit wessen Erlaubniß darf die Allee zum Velozipedfahren benützt werden, wie dies gestern Vormittags 1⁄2 9 Uhr von drei Herren geschehen ist?“, fragte die Lokalpresse. „Es ist genug, wenn die Straßen der Stadt durch diese Fahrten unsicher gemacht werden; die Allee soll für diese Fahrten nicht geöffnet sein.“
Dann wurde aufgrund der Proteste das Radfahren in der Innenstadt ganz untersagtt. Näheres beschreibt der Aufsatz. Das anfängliche Verbot wurde rigoros überwacht. Der erste Fahrradhändler in Regensburg, ein Herr Schreiner am alten Kornmarkt, musste eine Erlaubnis einholen, wenn er seinen Kunden eine Probefahrt am Platz ermöglichen wollte. Das war 1885. Im Dezember 1885 gab die Stadt dem Drängen des Radfahrervereins nach und erlaubte ein paar Zonen, in denen Radfahren erlaubt wurde:
„Klaren-Anger, Minoritenplatz, Dreikronengasse, Speichergasse, alter Kornmarkt, Maximilianstrasse und Maxquerstrasse, Jakobsstrasse, Bismarckplatz, Eichhorngasse, Bereiterweg und Weißgerbergraben“.Aber nicht nur die Fahrverbote für Stadtbereiche waren ein Thema. Das Velocipedfahren war nur mit „Berechtigungskarte und Fahrrad-Nummer“ erlaubt, wobei man die Berechtigungskarte nur nach „Ablegung einer Prüfung vor der Polizei“ erhielt.
Da muss man doch direkt schmunzeln, wenn man an die bei uns herumgeisternden "Regensburger Wahnsinssradler" denkt, die es neben den normalen, braven Radfahrern gibt, und die über unsere Stadtgrenzen hinaus bekannt sind (an dem Namen habe ich lange gebastelt - eine Fibel für den Regensburger Wahnsinnsradler habe ich schon seit Jahren im Kopf, aber noch nicht nieder geschrieben)
Im Juli 1897 hatte die Zahl der ausgegebenen Radfahr-Nummern das 13. Hundert bereits überschritten“, was in der Lokalpresse mit „Radfahrer-Gewimmel“ kommentiert wurde.
Die Vereine
Nicht nur deutschlandweit und bayernweit sondern auch in Regensburg bildeten sich im Hype um das neue Fahrrad (Velociped) Vereine. In Regensburg startete der erste Verein 1883, anfangs noch Velociped-Club genannt. Bei all dem ging es nicht nur um normale Fortbewegung und die Frage, wie man zur Arbeit kommt, sondern sehr beliebt waren Tourenfahren, Wettfahren und Kunstfahren. Nebenher wurde auch bald erkannt, dass man Fahrräder für den Transport bzw. den Kurierdienst einsetzen kann.
Der Aufsatz beschreibt das alles sehr genau und auch die weitere Entwicklung.
Die Entwicklung des Radfahrens überhaupt und in Regensburg
Anfangs konnten sich nur die reicheren Leute so ein Fahrrad leisten. In den 1890er Jahren und 1900er Jahren fielen die Preise und das Rad wurde wichtig für den einfachen Mann, Arbeiter oder Angestellter, um zur Arbeit zu kommen.
Das Vereinswesen blühte auf, es gab mittlerweile den ARU („Allgemeinen Radfahrer-Union“), der Fahrrad-Rennsport war populär und all das beschreibt der Aufsatz, und zwar konkret mit Fokus Regensburg.
Hier sind natürlich die beiden Fahrradpioniere August Geisser (Tourensport) und Simon Oberdorfer (Kunstfahrer, Erfinder des Velodrom) wichtige Namen.
Damit der Leser sich das besser vorstellen kann, was er sich unter "Fahrrad" vorstellen muss, hier eine kleine Zusammenfassung, die ich selbst erstellt habe:
1817 Draisine (Laufrad ohne Pedale)
1861 Pedal-Veloziped (Velociped):
Pedalantrieb am Vorderrad - der erste echte "Fahrrad"
1870 Hochrad - Pedalantrieb am
Vorderrad
1884 Niederrad - Pedale und Kette auf
Hinterrad - das Konzept, das bis heute gilt
Dass man schon vor der Erfindung des Niederrads, also mit Hochrädern, in Gruppen große Touren unternahm, über mehrere Dutzend km hinweg, auf nicht immer ebenem Gelände - das kann man sich heute kaum vorstellen.
Es gibt viele interessante Fotos in dem Artikel, und Anzeigen von Fahrradhändlern in der Lokalzeitung
Der Artikel erschien in der (eher wissenschaftlich orientierten) Zeitschrift des "Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg". Die Zeitschrift wiederum heißt "VERHANDLUNGEN DES HISTORISCHEN VEREINS FÜR OBERPFALZ UND REGENSBURG", und was man aus dem Internetlink nicht sofort erkennt ist, dass es sich um einen Ausschnitt aus dem Jahr 2017, 157. Band handelt (der ganze Band: https://www.heimatforschung-regensburg.de/2862/)
Dass die Volltexte dieses (eigentlich nur für Mitglieder kostenlosen Zeitschrift) seit einiger Zeit kostenlos im Internet veröffentlich sind (http://www.hvor.de/vhvo.html) ist großartig, denn hier findet der Recherchierende wirklich herrliche Perlen, für die er nicht erst in eine Bibliothek gehen muss.
Die VHV-Aufsätze findet man zusätzlich (und zwar Aufsatz für Aufsatz einzeln digitalisiert) auf dem wunderbaren Portal des sehr engagierten Kreisheimatpfleger Dr. Thomas Feuerer, ein Projekt, das ich nicht oft genug loben kann: http://www.heimatforschung-regensburg.de/
Und hier eine Anzeige vom Velodrom-Gründer Simon Oberdorfer, dess trauriges Schicksal man unter anderem bei Wikipedia nachlesen kann (https://de.wikipedia.org/wiki/Simon_Oberdorfer),
Viele weitere Anzeigen, Postkarten und alte Fotos (bisher unbekannte Fotos, wohlgemerkt) findet man im Aufsatz: https://www.heimatforschung-regensburg.de/2862/11/10-Stellner-211-250.pdf
Übrigens: der Vorläufer des Fahrrads war die Draisine, bei der es aber kein Pedal gab. Man hatte die Beine auf den Boden. Und dann gab es eben die Erfindung des Pedal-Velopizeds durch Ernest Michaux
Heute erschien ein ausführlicher Artikel von Heike Haala in der Mittelbayerischen über diesen Aufsatz von Norbert Stellner; Titel: "So lernte Regensburg radeln".