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Mittwoch, 3. Februar 2021

Die Pest in Regensburg - wem kommt das bekannt vor?




Weißhoff, Frontispiz im Buch von Alkofer, Das Regenspurgische Pest- und Bußdenckmahl, 1714


Der zuletzt erschienene Blog-Artikel über den Pesthof war als Auftakt für weitere Abhandlungen geplant. Schon seit Jahren will ich nämlich über die Geschichte der Pest in Regensburg schreiben.  Ich sammelte in der Zwischenzeit Bücher, Aufsätze und Abhandlungen, und interessierte mich für alte Grafiken. Da Regensburg eine sehr alte, früher schon große Stadt war, gibt es sehr viele Dokumente über Seuchen.

Die Recherchen habe ich während der Corona-Pandemie wieder auf genommen. Und immer mehr entdeckte ich, wieviel Ähnlichkeiten es mit den aktuellen Problemen der Covid-Seuche gibt. Ich meine damit die seelischen Auswirkungen der Seuche auf die Gesellschaft, die Reaktion der Leute, das Verhalten der Regierenden, und die Maßnahmen der Behörden, die den heutigen ähneln. Und dann wiederum die Schwierigkeiten der Bürger, die gesetzlichen Regeln und Anordnungen zu akzeptieren. 

Am gründlichsten wurden die letzte große Pestepidemie in 1713 dokumentiert, die acht Monate lang in Regensburg wütete. Diese Dokumentation haben wir (nicht nur, aber vor allem) Erasmus Sigismund Alkofer zu verdanken, einem evangelischen Theologen, der als Seelsorger in den Pest-Monaten in der Stadt unterwegs war und den Leuten half.  

Seine persönlichen Eindrücke hat er 1713 in dem "Regenspurger Buß- und Pestdenkmal" verarbeitet, und die erschütternden Schilderungen werden bis heute immer wieder aufgegriffen und verarbeitet. Ein Jahr später, als die Seuche in Regensburg vorbei war, veröffentlichte er übrigens einen zweiten,  abschließenden Bericht. 

Dieser Pestausbruch von 1713 auf 1714  wird beispielhaft im Vordergrund des heutigen Artikels stehen. 

Es gibt viele andere Dokumente, sowohl aus der Zeit vor dem Buchdruck als danach.  So erließ Regensburg 1412 die erste Pestordnung, die dann offenbar noch bis zum 18. Jahrhundert galt. Die Regeln und Anordnungen in der Pestgeschichte waren - wie im übrigen Europa auch - den heutigen verblüffend ähnlich, auch wenn man die wissenschaftliche Ursachen der Verbreitung nicht kannte:  Gebietsabsperrungen, Abstandsgebote, Kontaktverbote, Quarantäne, Desinfektionen (mit  Essigmischungen, ohne die Wirkungsweise zu verstehen).

Der Begriff Pest

Früher wurde der Begriff "Pest" als Überbegriff für Seuche benutzt - was das lateinische Wort ja auch bedeutet. Was die 1713-er Pest betrifft, war es tatsächlich einer der vier Varianten der Pest im heutigen Sinne, und zwar die Beulenpest. Aber in manch anderen als "Pest" dokumentierten Seuchen in Regensburg und Oberpfalz ging es, wie wir heute wissen, um andere ansteckende Krankheiten; z.B. Pocken, Blattern, Fleckfieber, Cholera. Die Auswirkungen  auf die Gesellschaft sind aber letztlich immer dieselben, bis hin zur heutigen Covid-Seuche.  

Dass die Beulenpest durch Rattenflöhe übertragen wird, erkannte man erst 1897 durch Robert Koch. Davor vermutete man aufgrund von Erfahrungen, dass Berührungen, Dämpfe in der Luft und (so würde man heute sagen) infizierte Gegenstände die Krankheit übertragen können. Das spielt eine Rolle, wenn wir uns die Maßnahmen der Verwaltung ansehen. Die ähneln den Covid-Maßnahmen,.

Eine kleine Geschichte der Pest in Regensburg

Im Gegensatz zu COVID trat die Pest früher nicht wirklich flächendeckend auf, sondern stark regional. Da war mal Amberg betroffen, dann Regensburg,  oder Regenstauf, Burglengenfeld, Tirschenreuth. Daher hat es wenig Sinn, bei Wikipedia die "Geschichte der Pest" nach zu lesen, wenn man sich speziell für Regensburg interessiert. Die europaweite Welle der Beulenpest ab 1347 erreichte zum Beispiel zu verschiedenen Zeiten die einzelnen Orte. 

Was Regensburg betrifft, folgt hier eine knappe Zusammenfassung. Orientiert habe ich ich an dem schön aufbereiteten Beitrag von Wolfsteiner, "Medizinische Aspekte der Pest - Die Pest in der Oberpfalz" von 2013 (im Buch "Die Pest 1713 in Regenspurg und Statt am Hoff", im Jahre 2013 herausgegeben vom Heimatverein Statt am Hoff. 

  • So gab es im Jahr 847 ein "grausames Sterben" mit 7.800 Toten in Regensburg
  • 892, also zwanzig Jahre später, kam eine weitere Pestilenz in die Stadt..
  • Im Jahr 1029 gab es einen Ausbruch während der Salierkaiser Konrad den Reichstag in Regensburg besuchte (siehe auch meinen Blog-Beitrag "Regensburg in 'Der Ochsenkrieg' von Ludwig Ganghofer " mit Abdruck des letzten Teils des Romans). 
  • 1211 gab es eine Pest, 1235-1237 erneut, also zwei Jahrzehnte später.
  • 1280 bis 1282 kam die nächste Pestwelle
  • Zur Jahreswende 1311/1312 gab es eine bayernweite Welle
  • 1305, 1315 und 1327 brach in Amberg die Pest aus
  • Die große, europaweite Pestwelle von 1347 erreichte erst 1349 die Oberpfalz; Amberg wurde eventuell schon 1348 erfasst, Burglengenfeld und Regenstauf starben zu drei Viertel aus.
  • 1357 bis 1358 gab es Pest in Regensburg und Bayern, betroffen waren auch Amberg und Sulzbach
  • 1371, als dreizehn Jahre später, gab es erneut eine Pestwelle in Regensburg, dann wurden die Abstände knapper: 1373, 1375 und 1380. Ob das mit den heutigen "Wellen" zu tun hat, kann ich nicht sagen
  • 1412 gab es die erste Pestordnung in Regensburg, die fast unverändert die nächsten vierhundert Jahre gelten sollte
  • 1462 gab es 2500 Tote in vier Monaten, Zwanzig Jahre später kam die Pest nach Amberg (1482 bis 1484)
  • Ab 1500 wurden die Abstände wohl geringer. Ein Pestinhaus wurde am Unteren Wöhrd im Jahre 1503 eingerichtet, also nehme ich an, es gab da eine Pest. Der Untere Wöhrd war natürlich damals außerhalb des Stadtgebiets. Dass es sich vermutlich nicht um den heutigen Pesthof handelt, habe ich im letzten Blog-Beitrag angesprochen
  • 1520 wütete wieder die Pest, und zwar zwei Jahre lang. Unglücklicherweise gab es damals 1500 Prozessionen zur "Schönen Maria", was die Seuche wie bei Corona-Parties noch mehr ausbreiten ließ. Die "Schöne Maria" ist eine  heute nicht mehr existierende Wallfahrtskirche mitten in Regensburg, am Neupfarrplatz. Sie wurde 1520 erbaut, und zwar genau dort, wo ein Jahr zuvor das Jüdische Viertel abgerissen wurde. Sie existierte nur ein paar Jahre.
  • In Regensburg achtete man damals verstärkt auf Reinlichkeit und Ordnung. Ohne etwas über Bazillen und "Hygiene" zu wissen, hatte man damals Zusammenhänge mit Krankheiten bemerkt. So mussten die Straßen wöchentlich gesäubert werden, Schweineaustreiben und Ausschütten unreiner Flüssigkeiten auf die Straße waren gemäß Pestordnung verboten. Kranke Personen und deren Wärtern durften vier Wochen lang keine Bäder oder Kirchen besuchen.
  • 1563 gab es eine Welle in Sulzbach, 1575 in Schwandorf und Velburg, und weitere Pestwellen in der Oberpfalz waren 1582 bis 1584, 1590 bis 1592 und 1597 bis 1599. 
  • 1607, 1611, 1612 gab es Seuchen in Sulzbach, Eschenbach und Floß,
  • 1620 bis 1622 eine größere Welle in Oberpfalz mit 255 Toten in Weiden
  • Nach 1626 kam es durch den dreißigjährigen Krieg zu Seuchen in der Oberpfalz, vor allem 1632 bis 1635. Hier gibt es einen Augenzeugenbericht des Weidener Bürgermeisters Jakob Schabner. 
  • Dann gab es die letzte große Pestwelle im Jahre 1713, die ich eingangs erwähnt habe.
Weitere bzw. genauere Angaben siehe 'Dr. Schöppler. Die Geschichte der Pest in Regensburg, 1914, im ersten Kapitel

Die schöne Maria, Neupfarrplatz
Michael Ostendorfer, 1523





Die Pest von 1713/1714

Sie kündigte sich schon Jahre vorher an, als 1679 die Pest in Wien wütete. In der Oberpfalz war man alarmiert und sicherte die Grenzen. Die Wachen an der böhmischen Grenze wurden stark aufgestockt, es gab sogar eine reitende Stafette, die durch Gräben und andere landschaftliche Maßnahmen dafür sorgte, dass sich nicht jemand über das Gelände aus Böhmen herein schlich. 

Im Jahre 1713 war es dann in Regensburg soweit. Schon in den ersten Monaten ging das Gerücht um. Die Ratsherren hatten dieselben Probleme, wie Regierungen am Anfang der Corona-Krise im Frühjahr 2020: sollen wir Menschen warnen oder schreckt sie das nur  unnötig auf? Vielleicht war es ja gar nicht die Pest? 

Man schickte städtische Ärzte in ein Krankenhaus, wo Pestkranke mit Beulen lagen, aber die Ärzte waren sich anfangs nicht einig: Pest oder Syphilis oder Lymphknotentumor?

Die Ratsherren hielten die Seuche zunächst geheim, aber das klappte nicht lange. Dann musste die freie Reichsstadt Regensburg massiv reagieren.

Der Rat war ziemlich gefordert, in diesen Tagen, ähnlich wie die Regierungen zu Beginn der Covid-Krise: die Versorgung mit Lebensmittel und die Versorgung mit Arzneien musste gesichert werden, Pestpersonal rekrutiert werden (notfalls mit Gewalt), Häuser mussten gereinigt werden, der Reiseverkehr überwacht werden und natürlich die Pestopfer bestattet werden.

In Regensburg war damals der "immerwährende Reichstag", das heißt, Gesandte aus allen Ländern residierten hier. Diese beschlossen im August nach Augsburg zu fliehen und packten ihre Sachen. Viele Adelige und Geistliche folgten ihnen. Der nicht zu übersehende Auszug der Leute - ungefähr 7000 Personen mit Wagen, Kutschen oder zu Fuß -  war ein Schock für die Regensburger Bürger und hatte laut Alkofer eine demoralisierende Wirkung

In diesen Augusttagen riegelten die Regensburger sich ab. Niemand durfte herein, die Wareneinfuhr wurde reglementiert. Regensburg war damals noch freie Reichsstadt, also ein eigenständiges Land mitten in Bayern, mit gut gesicherten Grenzen: Jakobstor im Westen, Peterstor im Süden, Ostentor im Osten und im Norden war die Zoll- und Grenzschranke beim damaligen Turm am Ende der Steinernen Brücke, also dort, wo Stadtamhof beginnt. Für die landwirtschaftliche Versorgung allerdings gab es streng definierte Gebiete um Regensburg, der "Burgfrieden" (siehe: Wissenswertes um "Burgfriede" und Burgfriedensäulen). 

Nur zwei Tage danach sandte das umliegende Bayern auf Anlass von Herzog Maximilian von Bayern entsprechende Amtspersonen nebst einer Schar Husaren nach Regensburg, die dafür sorgen sollten, dass möglichst keine Bürger das Regensburg verlassen (von notwendigen Ausnahmen natürlich abgesehen). 

Regensburg wurde also auch von außen abgeriegelt. Der Handel litt, Lebensmittel wurden zunächst mal knapp.  Die Stadt verteilte zweimal wöchentlich Brot und Fleisch und den Armen.

Der Wochenmarkt wurde ausgelagert, vor die Tore Regensburg, und streng gesichert. Darüber gibt es einen Kupferstich von Lindner, der nicht  nur ganz allgemein wertvolle Anblicke des historischen Regensburgs um 1713 liefert, sondern auch speziell diesen Wochenmarkt zeigt. Ich habe schon vor Monaten recherchiert und kam zu dem Schluss, dass der Markt ungefähr schräg gegenüber den Regensburger Arcaden gewesen sein müsste.

Auszug aus dem Stich von Lindner, Pest August 1714



Lindner, Pest August 1714, Auszug (links oben)



Die bayerischen Kommissäre ließen es nicht mal zu, dass die Regensburger die Früchte von ihren Feldern und Beeten im Burgfriedensbereich holen durften oder die Felder bearbeiten durften. Es wurde ihnen sogar zugemutet, dass sie letzteres durch bayerische Untertanen erledigen lassen sollten.

DieLebensmittel wurden von dem Landvolk zum Wochenmarkt nach Kumpfmühl gebracht, von wo aus dieselben aufgekauft werden konnte. Dabei wurde die Quarantäne scharf überwacht. Schon vorher, am 6.8.1713, hatte die Stadt beschlossen, Waren aus "verdächtigen oder infizierten" Gebieten nicht ohne Quarantäne aufzunehmen.  

Im September 1713 wurden die Schulen geschlossen. Sie wurden erst 1714 wieder geöffnet. Mangels Internet gab es kein home-schooling als Ersatz.

Die Hygiene- und Gesundheitsvorschriften wurden rigoros durchgesetzt. All das, was Trost gebracht hätte, wurde verboten: Musik, Tanz öffentliche Versammlungen, das Beherbergen von Gästen, sogar Gottesdienste.

Ein Beherbergungsverbot von auswärtigen Gästen war selbstverständlich - das gab es schon seit Erlass der Pestordnung im Jahr 1412, also dreihundert Jahre früher. Es gibt viele Dokumente aus der Zeit dazwischen, worin unter Strafandrohung darauf hingewiesen wird, dass keine Fremde beherbergt werden dürfen (Einzelheiten in Schöppler, Die Geschichte der Pest zu Regensburg, 1914, Seite 38ff, public domain und im Internet abrufbar)

Kranken wurde empfohlen, ihren Seelsorger NICHT aufzusuchen, um ihn nicht zu gefährden. Kranke wurden zwangsweise in das Lazarett eingewiesen, was Familien auseinander riss. Im Pestlazartett am Unteren Wöhrd gab es ein Quarantäne-Häuschen, wo die Kranken von den Gesunden getrennt wurden. 

Was vorher kriminell war, ist jetzt erwünscht: Kranke sollen nicht zu Hause gepflegt werden, sondern in das Lazarett bringen. 

Wer seine toten Verwandten würdig begraben wollte und verbarg, dass es ein Pesttoter ist, konnte bestraft werden. Kleidung der Pestopfer zu verkaufen oder zu verstecken, war streng verboten. Die Pestinmänner mussten das vernichten. Man hatte nämlich gemerkt, dass nicht nur direkte Kontakte schädlich waren, sondern offenbar auch "infizierte" Gegenstände. Es gab eine Belohnung, wenn jemand versteckte Bettwäsche oder Kleidung meldete

Wer Symptome an sich oder einem anderen entdeckte, war verpflichtet, das zu melden. Die Stadtverwaltung übte insgesamt starken moralischen Druck aus, und es entstand auch im engeren Umfeld ein Klima des Misstrauens. Nun - ganz so schlimm hat sich das Misstrauen vor Denunziation in der Covid-Krise nicht wiederholt. Schließlich gibt es auch keine Belohnungen. Allerdings höre ich schon immer wieder solche Sätze wie: "ich muss aufpassen mit meinem Besuch, nicht dass mich doch mal ein Nachbar hinhängt".

Die Verordnungen orientierten sich an Seuchenordnungen anderer Städte. In Italien gab es zum Beispiel Gesundheitspässe - das imitierte man auch in Bayern und in Regensburg. Die Gesundheitspässe, in Zusammenhang mit dem Wochenmarkt außerhalb der Stadt, waren ein heißes Thema. Chronist Buzinger schrieb: "Was vor ein Gedränge um die Attestate war, kann ich nicht beschreiben, denn ein jeder wollte es zuerst haben". Nachdem die Pestkommissäre gegen die zu leichtfertige Erteilung der Ausweise protestierten, wurden die Zahl der Einkäufer auf 80 und später auf 20 beschränkt.

Natürlich wurden auch, wie in früheren Pestzeiten, Wirtshäuser geschlossen und "lasterhaftes Treiben" untersagt.


Da die Pestleichen als potentiell ansteckend galten, wurden sie nachts auf Karren geworfen und zum Friedhof gebracht, wo sie tiefer als sonst begraben wurden. Nachts  deswegen, weil man die Panik der Bürger nicht schüren wollte. Manchmal fielen Leichen herunter, und die Bürger sahen am frühen Morgen diesen entsetzlichen Anblick.  Neben dem Pestlazarett gab es ein Massengrab, ein wohl grauenhafter Anblick für die Kranken nebenan, deren Fenster zum Friedhof zeigten.

Fridrich, Das Regenspurgische Lazareth, 1714 (Auszug)


Das Pestlazarett befand sich in den Räumen des noch heute existierenden "Pesthofs" am Unteren Wöhrd. Im letzten Blog-Beitrag findet man Einzelheiten. Es entstand aus einer ehemaligen Schießstätte heraus, das 1652 als Lazarett benutzt wurde, 1662 z.T. zum Krankenhaus ausgebaut wurde. 1713 wurde es zum reinen Pestlazarett  umfunktioniert. Vorher hatte man zuerst einen Pestinhof im Minoritenweg eingerichtet, dort, wo heute das Gymnasium steht. Nachdem sich dort die Pfleger angesteckt hatten, wurde es geschlossen und die Behandlung vor die Tore der Stadt, zum Unteren Wöhrd, verlagert.  Es gibt einen Stich von Fridrich aus dem Jahre 1714, der das Pestlazarett in allen Einzelheiten zeigt.

In dem Grab beim Pestlazarett am Unteren Wöhrd wurden zum Teil auch die direkt aus der Stadt kommenden Toten begraben, der Rest wurde im Lazarusfriedhof (heutiger Stadtpark) bestattet, der eigens erweitert wurde. 


Lazarus-Friedhof, neben Prüfeninger Straße
(Auszug aus dem Stich von Lindner, Pest 1714)



Buzinger und Alkofer berichten, dass die Helfer, die oft zwangsweise  als Pestinmänner angeheuert wurden, aus unteren Schichten stammten. Diese gingen zum Teil fleddernd und misshandelnd mit den Leichen um, was detailliert geschildert wurde. Das war teilweise so extrem, dass ich es hier nicht wiedergeben  will (wer neugierig ist: siehe Karl Bauer, Regensburg, 2. Auflage Seite 886 ff). Die Verwaltung führte dann Prügelstrafe gegen diese Misshandlungen ein.

Demoralisierung

Die schon erwähnten Totenwägen waren mit schwarzen Tüchern abgedeckt, wobei die Tücher wohl erst an der Barriere zum Pesthof-Geländer entfernt wurden (siehe Ausschnitt aus dem Stich von Lindner). Damit wollte man die Psyche der Einwohner schützen.



Aber das Rumpeln der nachts durch die Gassen fahrenden Leichenwägen hatte laut Schilderung der Chronisten eine demoralisierende Wirkung auf die Regensburger. Sie sahen zwar nichts, hörten aber, und wurden an die Auswirkungen der Seuche erinnert: an den Tod. 

Ich denke, das ist heute mit der Flut an Nachrichten vergleichbar, mit denen wir täglich konfrontiert werden, und die uns auch ein wenig mürbe machen.

Wenn die Stimmung kippt

Zunächst waren die Einwohner nicht erfreut über die Pflicht, sich zu melden und in's Lazarett abgeschoben zu werden. Die Zustände, von denen sie hörten, und der makabre Umgang mit den Toten sowie die unwürdige Bestattung in Massengräbern waren abschreckend. Alkofer erzählt von einem, der sich vor ihm versteckte; man fand ihn später halb verhungert vor dem Bett seiner toten Frau.

Aber irgendwann kippte die Stimmung. Das war den Ärzten zu verdanken, die ausdrücklich für ihren Einsatz gelobt wurden. Die Ärzte versorgten in monatlichem Wechsel die Kranken im Pestinhof (Pestlazarett) und wohnte auch dort. Sie hatten spezielle Schutzkleidung, wie man aus einer Abrechnung weiß, und sie "machten alles, um das Los der Kranken erträglicher zu machen und nichts an Sorgfalt für ihre Pflegebefohlenen außer acht ließen"

Als dann bekannt wurde, dass durch das Geschick der Ärzte einige Leute Heilung fanden und als geheilt entlassen werden konnten, drängte alles so dahin, dass die Räume zu klein wurden. Man hatte also in jener Zeit zu den Ärzten ein großes Vertrauen.

Das wiederum erinnert mich an die kürzlichen Nachrichten über die Impf-Helfer und Betreuer in Altenheimen. Nachdem sich gezeigt hat, dass kaum Nebenwirkungen auftreten, stieg die Bereitschaft beim Pflegepersonal, sich selbst impfen zu lassen. 


Pestinmann mit spezieller Schutzkleidung
Bild von Manget, 1721



Die Pest geht zu Ende

Zu Beginn des Jahres 1714 hatte sich die Lage gebessert. Seltsamerweise heißt es in einem Bericht, dass bei den Evangelischen keine Krankheitsfälle bekannt waren, bei den Katholiken dauerte es aber länger. Möglicherweise hat das mit religiösen Ritualen zu tun, ich fand nichts Näheres dazu.

Nach acht Monaten war es dann vorbei. 

Am 23. April 1714 nahmen die Schulen wieder ihren normalen Betrieb auf. 

Am 3. Mai 1714 wurden die Tore von Regensburg geöffnet und es gab wieder normalen "Handel und Wandel". Am 6. Mai wurde ein Dankfest abgehalten. 

Ferner wurden zwei Gedenkmedaillen gedruckt, und die Einwohner von Sallern errichteten auf dem Geyerberg eine Dreifaltigkeitskapelle; den Berg tauften sie außerdem auf künftig "Dreifaltigkeitsberg" (siehe gesonderten Blog-Artikel: https://www.regensburger-tagebuch.de/2021/02/die-dreifaltigkeitskirche.html)


Silbermedaille zum Andenken an Pest in Regensburg, 1714
vorne Stadtansicht, hinten: Noah und Söhne opfern vor einem brennenden Altar
Quelle nicht mehr bekannt



Die Regeln und der Eigennutz - oder: Patient Null

Zu der Ausgrenzung von Reisenden aus gefährlichen Gebieten gibt es noch interessante Dokumente aus der Zeit vor 1713, z.B. anlässlich der Pest in Ungarn 1691. Hier erließ der Rat ein geharnischtes langes Schreiben, worin er umfangreich zur Vorsicht vor Händlern, Schiffen und anderen Reisenden warnte. Und natürlich war dem Rat auch aus Erfahrung klar, dass angebliche Freundschafts- oder Verwandschaftsverhältnisse vorgetäuscht wurden, um Beherbergungsverbote zu umgehen. Auch darauf wurde in diesem und früheren Appellen verwiesen.

Das Schreiben ist in vollem Wortlaut wiedergegeben in der Schrift von Dr. Schöppler aus dem Jahre 1914 auf Seite 41 ff..  Dem Stabsarzt Dr. Schöppler ging es dabei um etwas anderes: wie konnte es zur Pest-Einschleppung im Jahre 1713 kommen, wenn die Stadt sich doch so streng abschirmte, und seit Jahrzehnten immer wieder eindringliche Apelle veröffentlichte?

Denn der Patient Null konnte identifiziert werden! Es war wohl eine Branntweinverkäuferin namens "Schömerin".

Am Unteren Wöhrd hatte ein Schiff mit Flüchtlingen aus Wien geankert. Diese wollten gerne in der Stadt aufgenommen werden, wurden aber strikt abgewiesen. Da war die Stadtverwaltung durchaus streng und konsequent. 

Aber die Regensburger selbst hielten sich offenbar nicht daran. Ich zitiere aus Seite 46:

" Vorstehendes Kapitel ist für den Pestforscher insofern von besonderem Interesse, als es zu zeigen vermag, dass die Menschheit in gewissen Dingen sich stets gleich geblieben ist. Das Interesse am eigenen Ich lässt sie alle Gefahren verkennen, alle Rücksichten auf den Nächsten außer acht lassen und unbekümmert um alle noch so gut gemeinten Erlasse tut der einzelne nur das, was ihm momentan für seine Person gut erscheint. 
Bis herauf zur letzten Pest haben alle Ermahnungen nichts genützt, um auch nur einigermaßen einen Erfolg aus den vielen Belehrungen verzeichnen zu können. Um des Verdienstes einiger Pfennig willen, die doch nur wenigen Personen zugute kommen konnte, verliert Regensburg, trotz aller durch Jahrhunderte hindurch erlassenen Dekrete, abermals Tausende von Menschen durch die eingeschleppte Pest. 
Besser als durch die Betrachtung der soeben geschilderten Tatsachen lässt sich wohl kaum beweisen, dass die Menschen in gewissen Punkten sich nicht ändern werden, selbst auf die Gefahr hin, ihr Leben verlieren zu müssen" (Dr. Schöppler, Geschichte der Pest in Regensburg, 1914, Seite 46)


Appelle und Verbote

Wenn Alkofer und andere Chronisten von rigorosen Regelverfolgungen sprechen, erweckt das den Eindruck, die Behörden arbeiten nur mit Verboten. Dr. Schöppler belegt jedoch durch viele Dokumente, dass die Stadt bei vielen Pestwellen Appelle drucken ließen. 

In denen wurden die Argumente für die Regeln erklärt, wurde auf die moralische Verantwortung hingewiesen, wurde an die Mitwirkung der Regensburger appelliert. Manchmal waren es Einzelblätter, manchem gebunden zu kleinen Broschüren, also Büchern. 

Aber: ob das auch jeder gelesen hat? 

Als im Frühjahr 2020 der harte Lockdown mit Kontaktverbot ausgesprochen wurde, gab es eine Regierungserklärung von der Bundeskanzlerin. Sie erklärte die Maßnahme mit allgemeinverständlichen Worten, wies auf die Gefährdung der älteren Generation hin und appellierte an das Verantwortungsgefühl aller.

Zwei Tage später erhielt meine 85jährige Mutter den üblichen Besuch einer Bekannten und ihres Sohnes, natürlich ohne Maske, und mit der Frage "es macht dir doch nichts aus, oder?". in der gleichen Woche kam der Kaminkehrer, ferner der alljährlich auftauchende Bekannte, der den Baumschnitt im Garten machen will.

Also:  trotz generellen Kontakt-Verbotes und trotz des Appells, Ältere zu schützen, wurde eine 85-jährige besucht. Das wiederholte sich natürlich im Laufe des Jahres 2020.

Mir wurde dann bald klar, dass ein beachtlicher Teil der Bürger keine Nachrichten verfolgt. Nicht einmal in Notzeiten. Bis heute nicht. Das haben meine Beobachtungen in den letzten 10 Monaten immer wieder bestätigt.

Literaturtipps:

Der Stich vom Lazarett  mit Details


1714 Stich von Fridrich


Bildausschnitte























Weitere Ausschnitte aus einer anderen Version:







P.S:

Sehr interessant fand ich den Beitrag von Katharina Kellner im Buch "Die Pest 1713 in Regenspurg und Statt am Hoff", herausgegeben vom Heimatverein Statt am Hoff. Das Buch stammt aus dem Jahr 2013, aber es ist, als wenn die Autorin den Artikel in der Zeit der Corona-Pandemie geschrieben hätte. Sie hat dabei mehr die psychologische Seite aufgearbeitet, wie also die Leute auf die Pest und auf die strengen Verordnungen reagierten. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, die Autorin hat den Artikel während der Corona-Pandemie geschrieben. Das Buch erschien allerdings 2013. Es ist im Buchhandel nicht erhältlich.

Das ist das traurige an so manchen Aufsätzen und kleineren Büchern zur Regensburger Geschichte (und dazu gehören auch die Bände des Almanachs und der Denkmalpflege): sie sind nach kurzer Zeit verloren. Am Markt nicht mehr erhältlich, auch nicht als ebook, und nur wer gezielt such, findet das in einer Bibliothek oder in einem Antiquariat.

Es wäre schön, wenn solche Aufsätze nach einiger Zeit als PDF-ebook zur Verfügung gestellt werden. Sei es kostenlos oder für ein paar Euro. Das geht eigentlich mühelos über bod, google-books oder amazon.

P.P.S:

Auslöser für mein Interesse an dem Thema Pest war zweiseitiger, schöner Artikel über die Pest in der Wochenendbeilage der MZ vom 22. Juni 2013. Anlass für den Artikel war möglicherweise eine Pressemeldung vor zwei Wochen, wonach die Pest immer noch nicht ausgerottet ist. Den Artikel selbst finde ich nicht mehr.