Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Montag, 26. April 2021

Historische Panoramabilder von Georg Scharf jetzt online verfügbar


Vor ein paar Monaten spazierte ich über den Haidplatz und warf, wie so oft, einen Blick in den Durchgang neben dem Goldenen Kreuz. Und stellte traurig fest: die Panorama-Bilder von Georg Scharf waren weg. Es waren natürlich keine Originale, sondern  auf Plane gespannte Reprints (entgegen einer früheren Fassung dieses Artikels stammen sie aber nicht vom Auktionshaus Keup, sondern von der "Hausverwaltung).

Die sah ich immer gerne. Ich hatte erstmals 2012 zu den Bildern recherchiert und festgestellt, dass die Originale in London aufbewahrt werden. Online waren sie aber nicht sichtbar. Ich fand es auch traurig, dass in Regensburg so wenig über diesen faszinierenden Maler geschrieben wurde oder die Bilder gezeigt wurden. 

Die Sensation: Digitalisate jetzt verfügbar

Und vor ein paar Wochen, im März, machte ich eher zufällig die (jedenfalls für mich) sensationelle Entdeckung: die British Library hat ihre Bilder von diesem Künstler digitalisiert und online zur Verfügung gestellt. 

Ich musste erst längere Zeit auf der Webseite stöbern, bis ich begriff: auf dem Portal sind im Endeffekt drei Bilder aufrufbar: 1 Aquarellbild mit Nordansicht, 2 Ölbilder mit einmal Nordansicht und einmal Südansicht (im Durchgang gezeigt wurde nur eines der drei Bilder, und ein weiteres Bild, das jetzt quasi verschollen ist - dazu später mehr). 

Ich habe das hier mal wie folgt zusammen gestellt:

1.) Aquarellbild mit  Nordansicht (Titel "Panorama Ansicht von Regensburg")

Linkhttps://www.bl.uk/collection-items/panoramic-view-of-ratisbon# (nur Nordansicht, links unvollständig)

Ein Aquarell-Bild, das auf 1845 datiert wird.

https://www.bl.uk/collection-items/panoramic-view-of-ratisbon


PANORAMIC VIEW of that part of Ratisbon west of the cathedral, painted in water-colours by G. Scharf, sen.; 1845. Paper; 6 ft. 1/2 in. X 1 ft.


2.) Zwei Ölbilder - einmal mit Südansicht und einmal mit Nordansicht. Beide auf derselben Webseite aufrufbar (scheinbar als wäre es nur ein Bild); Titel "Panorama Ansicht von Regensburg mit Kathedrale":

https://www.bl.uk/collection-items/panoramic-view-of-ratisbon-with-the-cathedral (Süd+Nord)

Beide Ölbilder sind mit "circa 1845" datiert

PANORAMIC VIEW, of Ratisbon, having the cathedral in the centre, and showing all the principal buildings, etc., painted in oils by G. Scharf, sen.; circ. 1845. Canvas Roll; 11 ft. 2 in. x 2 ft.

https://www.bl.uk/collection-items/panoramic-view-of-ratisbon-with-the-cathedral


https://www.bl.uk/collection-items/panoramic-view-of-ratisbon-with-the-cathedral


Auf der Webseite des Museums heißt es:
This preparatory painting was made by the German artist George Johann Scharf (1788–1860). It depicts Ratisbon (modern day Regensburg) in Bavaria from a high point near the Cathedral. Villages and large country estates can be seen in the surrounding countryside. The lower left corner is incomplete, with only the pencil under-drawing visible. Preparatory drawings were consolidated back in Scharf’s London studio, then scaled up and painted on a massive canvas for exhibition in a rotunda.
Die Bibliothek datiert die Bilder auf  z.T. genau  1845, zum Teil mit circa 1845. Diese Daten müssen nicht unbedingt stimmen - ich habe öfter mal falsch datierte Bilder von Regensburg auf Webportalen von Museen gesehen. Da haben Auktionäre oft besseres Hintergrundwissen.

Wo stand der Künstler?

Die Panoramen dürften vom Turm des Goldenen Kreuzes aus gemacht worden sein. Wahrscheinlich von der nordöstlichen Ecke des Turmdachs aus, was ich durch Experimente mit google-earth-3D-Ansicht herausfand.

Was ist das Besondere an diesen Bildern?

Die Bilder finde ich aus zwei Gründen höchst interessant.

Zum einen zeigten sie eine absolut ungewöhnliche historische Stadtansicht aus der Sicht von jemand, der auf dem Turm des Goldenen Kreuzes am Haidplatz steht - mit faszinierenden Details z.B. vom Treiben auf dem Haidplatz selbst.

Zum anderen war die Anfertigung eines Panorama-Bildes durch einen Maler eines eine kleine Meisterleistung. 

Denn unser Auge - bzw. unser verarbeitendes Hirn -  rückt ständig die fliehenden Linien zu scheinbaren Parallelen zurecht. Das macht auch eine normale Kamera mit halbwegs normalen Brennweiten: die Linsen sorgen dafür, dass wir Parallelen sehen, die es von der Logik her eigentlich nicht gibt. Wollen wir dann mehr sehen, benutzen wir ein Weitwinkel und bekommen ein verzerrtes Bild. Oder der Fotograf dreht sich, macht mehrere Einzelbilder und fügt sie am Computer zusammen. Da merkt man dann  schnell, das das bloße Aneinanderreihen von Fotos nicht funktioniert. Darum braucht man Programme, die die Bilder verschmelzen, so genannte Stitching-Software.  Auch hier kommen dann seltsam verzerrte Bilder heraus:


Moderne Handykameras haben diese erstaunliche Software-Funktion schon eingebaut und machen fertige Panoramabilder. 

Damals gab es aber keine Software, der Maler musste also die Linien "zurecht rücken". Wenn man sich auf einen Streifen beschränkt und nicht zu weit nach oben oder unten malt, geht das schon. Aber selbstverständlich ist das nicht.

Auf der Museumsseite gibt es auch einen theoretischen Aufsatz über Panoramen, bei dem das Scharf-Bild von Regensburg als ein von mehreren Beispielen genommen wurde. Wie man sieht, ist die Anfertigung von Panoramen ein ernsthaft untersuchtes Thema in der Kunstgeschichte.





Wer war Georg Scharf?

Georg Johann Scharf (* 19. April 1788 in Mainburg; † 11. November 1860 in Westminster, London) war laut Wikipedia ein deutscher Marine-, Miniatur- und Genremaler, Aquarellist und Lithograf, der lange in London wirkte.1845 erfolgte eine Reise nach Bayern mit Aufenthalten in Mainburg, München und Regensburg, 1848 kehrte er nach London zurück

Die Infos auf Wikipedia sind insgesamt sehr knapp: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Johann_Scharf


Es gibt einen ausführlicheren Aufsatz über diesen interessanten Maler in der bayerischen Staatszeitung:

https://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/genialer-lithograf-lausiger-geschaeftsmann.html#topPosition

Auf meiner Festplatte hatte ich vor Jahren noch einen Web-Aufsatz gespeichert mit dem Titel "Das Faszinosum Johann Georg Scharf" - aber ich kann die Datei nicht mehr öffnen und ich finde auf google nichts zu diesem Titel.


Das verschwundene vierte Bild

Ich sah aber im Durchgang beim Goldenen Kreuz, als dort die Bilder von Scharf noch hingen, eine andere Version, eine die offenbar einen Schwenk von Norden - Osten - Süden zeigt. Ich meine die obere von den beiden Bildern auf nachfolgendem Foto:

Foto vom März 2014


Gibt es also noch ein Aquarell oder Ölbild, das von der British Library nicht gescant wurde oder ihr nicht vorliegt? Oder habe ich die Suchfunktion falsch benutzt und das Bild ist da?

Das habe ich noch nicht heraus gefunden.

Bei meinen Spaziergängen habe ich die Reprints glücklicherweise öfters fotografiert. Ich habe zwei Fotos aus einem Weihnachtsspaziergang vom  24.12.2012 (mit Gesamtanblick), ferner gründliche Fotos vom März 2014 und ein paar Fotos vom  25.12.2015. Interessant sind die Fotos vom "fehlenden" Bild, und im Moment sind sie für mich die einzige Quelle zur Betrachtung dieses Bildes.

Die folgenden Fotos konzentrieren sich also auf die oben genannte N-O-S Ansicht, die in der British Library nicht gezeigt wird (zumindest fand ich so dort nicht). Es ist das obere der beiden Bilder, die im Durchgang beim Goldenen Kreuz hingen:









Vergleich mit google-earth-Ansichten