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Freitag, 28. Mai 2021

Ausstellung "Grenzen in der Kunst" in der Ostdeutschen Galerie




Gestern war ich zu einem längeren Besuch im "Kunstforum Ostdeutsche Galerie". Dort gibt es neben der Dauerausstellung zwei sehenswerte Sonderausstellungen, unter anderem die Ausstellung "Grenzen in der Kunst - Tschechische Kunst in drei Generationen", die ich hier besprechen will.



Grenzen in der Kunst - Tschechische Kunst in drei Generationen
22. Mai bis 15. August 2021
Kunstforum Ostdeutsche Galerie


Dabei werden die Werke von drei Künstlerpersönlichkeiten gezeigt: die 1980 verstorbene Malerin "Toyen" (alias Marie Čermínová) und die beiden zeitgenössischen Künstler Magdalene Jetelovà und Kristof Kintera. 

Bei der Zusammenstellung der drei Künstler war entscheidend, dass sie über drei Generationen hinweg die Entwicklung von Politik und Kunst in der heutigen Tschechei erlebt haben. Bei dieser Entwicklung spielten auch die Veränderung der  Grenzen eine Rolle - nach dem ersten Weltkrieg, nach dem zweiten Weltkrieg und nach dem Mauerfall. Daher der Titel.

Magdalena Jetelovà

Diese Werke dieser Künstlerin waren für mich eine angenehme Überraschung. Wobei die ausgestellten riesigen Leuchtkästen sowie die hervorragend gemachte Videoinstallation nur einen kleinen Teil ihrer Bandbreite wieder geben. Ein Blick in die Bildersuche der Internetsuchmaschine google zeigt nämlich noch viel mehr Interessantes von ihr. 

Gezeigt werden bei dieser Ausstellung vor allem Bilder, die man als eine spezielle Variante von "Land-Art" bezeichnen könnte: Mit Hilfe von Laserstrahlen zeichnet und schreibt sie direkt in die Landschaft hinein, und hält das Ergebnis mittels Langzeitbelichtung oder Film fest. 

Speziell konstruierte, riesige Leuchtkästen machen den Effekt des Laserstrahls für Besucher viel intensiver deutlich, als es gewöhnliche Fotografien machen könnten.

Die ausgestellten Werke stammen vor allem aus den Zyklen "‚Pacific Ring of Fire‘ und "Iceland project." Hier griff sie das Thema Naturgrenze und geologischen Nahtstelle auf. Der Pazifische Feuerring umgibt die pazifische Platte hufeisenförmig mit einem Vulkangürtel an der Stelle, an der die Pazifische Platte auf mehrere andere Kontinentalplatten trifft. Mit einem Laserstrahl markiert sie in Patagonien die Plattengrenze nach mathematischen Berechnungen, da deutliche Erhebungen wegen des Ewigen Eises nicht zu sehen sind. Gelegentlich "schreibt" sie mit dem Laserstrahl auch Nachrichten wie ‚Essential is visible‘ in die Landschaft oder in die sich verändernden, zum Teil einstürzenden Eisberge.

Von Magdalena Jetelovà  stammen übrigens auch die roten Säulen am Portal der Galerie. 

Man beachte, dass die Installation mit den riesigen Spiegeln im letzten Raum nicht von Kintera stammen, sondern von ihr, während die übrigen Skultpuren im Raum und im Raum davor von Kintera sind. bei meinem Besuch war allerdings die Laserprojektion nicht eingeschaltet. Die in der Frequenz von bestimmter Musik vibrierenden Spiegel sollten für ein bestimmtes Lichtergebnis sorgen. Ich denke, das Problem ist bis zu Ihrem Besuch behoben.

Die Video-Installation, bei der das Video auf die Decke projeziert wird, ist technisch erstaunlich und künstlerisch sehenswert.  Tipp: gehen Sie ans andere Ende des Raums und betrachten Sie den Film von dort aus, und nicht von der Bank in der Mitte aus.




Kristof Kintera

Eine noch größere Überraschung für mich waren die Werke von Kristof Kintera - teilweise relativ klein, teilweise riesige Skultpuren in über 4 m Größe. 

Die Werke des Künstlers, der sich selbst als Bildhauer beschreibt, obwohl er mehr Installationen und Assemblagen macht, sind schwer zu beschreiben.  Auf alle Fälle setzt er sich kritisch und leicht satirisch mit gesellschaftlichen Themen auseinander. 

Der 1973 in Prag geborene Künstler ist international bekannt. Seine Arbeiten sind in den wichtigsten Sammlungen zu finden und wurden weltweit ausgestellt, unter anderem in der Galleria Nazionale in Rom, im National Museum of Modern Art in Tokyo, im Museum Tinguely in Basel, im Haus der Kunst München sowie in Galerien und Museen in New York, Sydney, Prag und Berlin.


Beeindruckt hat mich unter anderem die 4,5 m hohe Installation "The End of Words III", das dritte und größte Werk aus einer Serie. Es geht um das Ende des gedruckten Wortes, indem er aufeinander getürmte Bücher in Beton gießt - einige davon sind aufgeblättert, einige gebogen, so als ob ihre Zerstörung kurz bevorsteht. Es erinnert an Bücherverbrennungen. Auch die riesige Lichtinstallation daneben ist faszinierend, und man sollte unbedingt die zugehörige Beschreibung lesen! Ich weiß bis heute nicht, wie er den Betonkopf in 4 m Höhe, an dem scheinbar lose die Stromkabeln hängen, "verankert" hat. 

Ich könnte mir gut vorstellen, dass er mit  solchen schon in einer ars-electronica Ausstellung war (dass er in Linz bereits ausgestellt hat, weiß ich jedenfalls. Und ich glaube, eine der auf seiner Homepage gezeigten Batterie-Assemblagen habe ich bei einem meiner Besuche dort schon mal gesehen). 

Im vorletzten Raum - dem ersten Raum mit Werken von Kinterea - sieht man übrigens eine kindergroße Figur (etwa 15jähriges Kind mit Kapuze), die in die Wand hinein schaut - gleich neben dem großen Fenster zum Stadtpark hin. Das hat sich während meines Aufenthaltes nicht bewegt, daher habe ich es nur am Rande notiert. Aber wie ich im Nachhinein weiß, ist das ein Konstrukt mit periodischen, roboterhaften Bewegungen. Die Figur schlägt - so zumindest im Originalkonzept - in bestimmten Abständen den Kopf an die Wand, schön zu sehen auf diesem Video: https://www.youtube.com/watch?v=A3yWq5Z5RIw

Diese Installation heißt "Revoloution", und als der Künstler es in New York ausstellte, gab es einen dramatischen  Zwischenfall, wie der Künstler in einem Interview erzählte:

„Eine Besucherin bekam einen Anfall, als sie sah, wie der Junge den Kopf gegen die Wand schlägt. Sie musste mit dem Krankenwagen abtransportiert werden. Wir hatten Panik, dass sie uns verklagt.“ Quelle: deutsch.radio.cz/...
Mir persönlich gefallen auch sehr gut seine Assemblagen, bei denen er technische, vor allem elektronische Bauteile verwendet, um Natur, Biologie (und - wie man auf seiner Homepage sieht - auch Architektur und Landschaft) darstellt.

Auf deutsch.radio.cz fand ich ein Interview mit ihm. Interessant ist, was er dort über die tschechische Kunstszene schreibt:

Ich mag die Ironie, die Übertreibung. Das ist das, was mir auch am besten gefällt an der tschechischen Mentalität. Die Kunstszene hier in Prag ist – wie soll ich es sagen – aufrichtig. Der Kunstmarkt ist nicht besonders entwickelt. Viel weniger als in anderen Ländern. Die Leute hier machen die Kunst aus Überzeugung. Sie bekommen wenig Unterstützung und glauben einfach an ihre Sachen.“ 
Quelle: deutsch.radio.cz/...




Toyen

Die Malerin "Toyen" konzentrierte sich auf Surrealismus. Die Werke mögen aus heutiger Sicht nicht mehr jedermann berauschen, aber ihre Biographie ist äußerst interessant. Womit man sich dann aber außerhalb der Ausstellung befassen muss. Wikipedia bietet immerhin einen guten Ansatz, auch wenn es dort noch etwas dürftig zugeht.

Der eigentliche Name ist Marie Čermínová; sie änderte ihren Namen in Toyen, eine Ableitung von französisch citoyen (Bürger), und vermied damit die geschlechtliche Zuordnung ihres Namens. Gelegentlich wird sie deshalb als transgender bezeichnet.

Toyen floh 1939 nach dem Überfall der Nazis nach Paris, wo sie früher schon mal lebte. Allerdings musste sie sich dort später erneut vor den Nazis fürchten, die nun mal nichts für surrealistische Kunst übrig hatte. Nach dem Krieg wurde sie als Illustratorin für über 500 Bücher bekannt. 'Der deutsche Wikipedia-Eintrag  ist etwas knapp. Das mit der Illustratarinnen-Tätigkeit erfuhr ich z.B. über ein youtube-Video, wo es eigentlich um eine Bildbesprechung ging - aber im zweiten Teil des Videos erzählt der Moderator über das Leben der Künstlerin und hat Mühe, das Ganze transgendergerecht zu formulieren.




Kunstforum Ostdeutsche Galerie

Information zur Ausstellung

Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr
Donnerstag 10 bis 20 Uhr, an Feiertagen bis 17 Uhr

6 Euro Eintritt für das ganze Haus (alle drei Ausstellungen)