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Freitag, 15. Juli 2022

Fahrradstraße als Gefahrenquelle - Vorrang bedeutet nicht Vorfahrt

 Die MZ berichtete am Freitag über die Fahrradstraße in der Burgunderstraße - und behauptet, die Radfahrer hätten nun dort Vorfahrt gegenüber Autofahrern (Fahrradstraße kommt gut an, 15.7.2022 S. 23, Untertitel: In der Burgunderstraße im Stadtosten müssen Autofahrer nun warten"). 

Das ist nicht richtig. Und es ist wichtig, das klarzustellen:

Die Einführung einer Fahrradstraße bedeutet nicht,
dass Radfahrer vor Autofahrern Vorfahrt haben!

Richtig ist nur, dass man in der Burgunderstraße auch die Vorfahrtregeln durch entsprechende Verkehrszeichen geändert hat, was sich noch nicht so recht herumgesprochen hat. Aber die neuen Regeln gelten für alle - Radfahrer zu Radfahrer, Radfahrer zu Kfz und Kfz zu Kfz. Das hat nichts mit der Fahrradstraße zu tun.

Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass Radfahrer vor Kfz Vorfahrt hätten. Darüber will ich schon seit ein paar Wochen schreiben, seit einem Erlebnis in der Hemauerstraße.

Das Thema "Fahrradstraßen" ist seit Monaten in den Medien. Die Kommunen setzen hier Richtlinien um, und das Ganze klingt auch gut. Als 2019 nacheinander in Hemauerstraße und dann Blumenstraße eine unechte Fahrradstraße eingeführt wurde (Fahrradstraße mit Erlaubnis für PKW), war mir klar, dass das völlig überflüssig war. Ich fahre seit Jahren als Radfahrer diese beiden Straßen, wenn ich in die Stadt will. Und da ist so wenig Verkehr und so wenig Konfliktpotential, dass die Umwidmung völlig sinnlos erschien. 

Aber egal, dachte ich, die Stadt muss die Richtlinien umsetzen und natürlich ist das Ganze ein symbolischer Akt. Entsprechend neutral habe ich mich damals in meinem Blog-Artikel im Jahre 2019 geäußert:

https://www.regensburger-tagebuch.de/2019/08/die-neuen-fahrradstraen-in-regensburg.html

Hemauerstraße als Fahrradstraße; Foto: P. Burkes, 2019


Bis ich vor ein paar Wochen ein erhellendes Erlebnis hatte: ich war mit dem Rad  in der Hemaustraße unterwegs und bremste ab, da von rechts ein Fahrzeug kam. Ein Pizzalieferdienstradler schloss auf und schimpfte über die Autofahrer, die die Vorfahrtsregeln nicht beachten (ähnlich  wie im heutigen Zeitungsartikel). Na ja, meinte ich, aber eigentlich hat er ja Vorfahrt. Darauf reagierte er nicht, sondern schimpfte kurz vor der nächsten Seitenstraße eneut: "auch da schießen immer die Autofahrer rein und nehmen mir die Vorfahrt". Da wurde mir klar:

Fahrradstraßen sind Haftungsfallen. Sie sind Gefahrenquellen. 

Denn flüchtige Leser von Zeitungsartikeln lesen nur "Radfahrer haben Vorrang". Aber das ist missverständlich. 

Als in Regensburg (erstmals 2019 in Holzlände und Hemauerstraße) die Fahrradstraßen eingeführt wurden, habe ich (als Autofahrer)  über diese neue Regelung recherchiert. Es gab schon ab 2018 zahlreiche Medienartikel, die darauf hinweisen, dass sich an der Vorfahrt nichts ändert. 

Aber ein Jurist, der sich nicht auf Zeitungsartikel verlassen will, guckt in das Gesetz. Er sucht hier: in der Straßenverkehrsordnung. Die kann man über das offizielle Portal "gesetze-im-internet.de" aufrufen: https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/

In den 53 Paragraphen findet man nichts. Man muss in die Anlage 2 gehen, wo das entsprechende Verkehrszeichen zu finden ist: Nr. 23 der Anlage 2 regelt das Schild "Fahrradstraße"


https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/anlage_2.html


Hier ist der Gesetzestext zur Fahrradstraße:

Ge- oder Verbot
1.
Anderer Fahrzeugverkehr als Radverkehr sowie Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne der eKFV darf Fahrradstraßen nicht benutzen, es sei denn, dies ist durch Zusatzzeichen erlaubt. Die freigegebenen Verkehrsarten können auch gemeinsam auf einem Zusatzzeichen abgebildet sein. Das Überqueren einer Fahrradstraße durch anderen Fahrzeugverkehr an einer Kreuzung zum Erreichen der weiterführenden Straße ist gestattet.
2.
Für den Fahrverkehr gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern.
3.
Das Nebeneinanderfahren mit Fahrrädern ist erlaubt.
4.
Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Fahrbahnbenutzung und über die Vorfahrt.

Und das Entscheidende steckt in Nummer 4: Es gelten die üblichen Vorschriften über die Vorfahrt.
 
Konsequenz:
An Kreuzungen und Einmündungen gelten die üblichen Vorfahrtsregeln wie "rechts vor links". Möchte also ein Autofahrer - wenn es erlaubt ist - von rechts auf die Fahrradstraße einbiegen, hat er Vorfahrt. 

Das ist ein korrektes Zitat aus einem von vielen Ratgebern im Internet, die es nach Einführung des Zeichens gab. Weitere Zeitungsmeldungen zeige ich weiter unten.

Ich habe auch falsche Formulierungen in Zeitungsartikeln gesehen.  In einigen Medienartikeln las man, auf Fahrradstraßen hätte der Radfahrer die "Vorfahrt". 

Das ist wohl die Interpretation der verbreiteten Formulierung "Auf Fahrradstraßen hat der Radfahrer grundsätzlich Vorrang". Aber auch das ist unglücklich, weil der "Vorrang" missverstanden wird

Das Wort "Vorrang" steht übrigens gar nicht im Gesetz, wie Sie im obigen Textausschnitt überprüfen können. Vorrang bezieht sich eigentlich nur darauf, dass die Radfahrer - z.B. durch Nebeneinanderfahren - die Weiterfahrt eines Kfz behindern dürfen. Ebenso, wenn der Raum nicht ausreicht, um den Radfahrer mit 1,5 m Abstand zu überholen. Insofern kann man von Vorrang sprechen. Völlige Willkür gibts aber nicht - für Radfahrer gilt das Rechtsfahrgebot


 
Was gilt also für die Vorfahrt?

Man muss schauen, ob ein Vorfahrtsschild vorhanden ist. Wenn das nicht der Fall ist (wie in Hemauer- und Blumenstraße), gilt gemäß § 8 StVO die Regel "Rechts vor links" . Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der andere ein Radfahrer oder Autofahrer ist. 

Diese Unterscheidung macht das Gesetz nicht

Was bleibt also als Vorteil, wenn eine Straße als Fahrradstraße gewidmet wird und durch Zusatzzeichen klargestellt wird, dass PKW/Motorradfahrer auch fahren dürfen?

- nur noch 30 km/h (ohne ausdrückliches Schild)
- Radfahrer dürfen nebeneinander fahren
- Radfahrer müssen mit einem Abstand von 1,5 m überholt werden

Aber an der Vorfahrt ändert sich nichts.

Ich für meinen Teil habe seit dem Erlebnis von vor ein paar Wochen beschlossen, in Fahrradstraßen dem Radfahrer die Vorfahrt zu geben. Wenn ich täglich nach Hause komme und mit dem Auto in die Blumenstraße einbiege, lasse ich also künftig die von links kommenden Radfahrer fahren. Auch wenn die Stadtverwaltung vor zwei Jahren auf der Straße ein Symbol eingefügt wurde, das darauf hinweist, dass rechts vor links gilt. Aber ich denke, einige Radfahrer gehen trotzdem davon aus, dass sie die Vorfahrt haben. Jedenfalls vor einem PKW. 

Also gehe ich auf Nummer sicher. Ich kann andere Autofahrer nur anregen, entsprechend zu handeln.

Umgekehrt kann ich nur jeden Radfahrer darauf hinweisen, dass er in Wirklichkeit keine automatische Vorfahrt vor Autos hat. Nur wenn er von rechts kommt oder ein Vorfahrtschild existiert.

Hier gesammelte Belege aus (korrekten) Veröffentlichungen zum Thema Vorfahrt auf Fahrradstraßen:


ADAC


NDR:
https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Welche-Regeln-gelten-auf-einer-Fahrradstrasse,fahrradstrasse128.html


BNN




ZEIT (11.10.2018)



advocard:




Radtouren-Checker.de
https://www.radtouren-checker.de/wer-hat-vorfahrt-auf-einer-fahrradstrasse/





STVO2GO




Bussgeldkatalog.de

Bussgeldkatalog.de


Weitere Links:

https://utopia.de/ratgeber/fahrradstrasse-was-bedeutet-das-verkehrszeichen/ (sehr deutlich: "Vorrang bedeutet nicht Vorfahrt")

https://www.idowa.de/inhalt.radverkehr-welche-regeln-gelten-auf-fahrradstrassen.70bee212-0403-49bd-8de2-52a9ab11d417.html ("Auf das Vorfahrtsrecht haben die Regeln der Fahrradstraßen keinen Einfluss: Auch dort gilt rechts vor links, solange die Vorfahrt nicht durch ein Verkehrsschild geregelt wird.")

https://bussgeldcheck.bild.de/c/fahrradstrasse/#regeln

https://www.sos-verkehrsrecht.de/c/fahrradstrasse/

https://presse.ace.de/pressemitteilungen/presse-detail/news/das-gilt-in-einer-fahrradstrasse/


Und hier die Gesetzesquelle: STVO
https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/






Anlage 2
https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/anlage_2.html


Negativbeispiel:






Siehe zum Thema Fahrradstraßen auch:

"Mogelpackung Radstraßen: Wie die Stadt nachbessern will" Untertitel: Es gibt immer mehr Fahrradstraßen - aber sie bringen kaum etwas, sagen Nutzer. MZ-Artikel von Julia Ried, 07.06.2022


Beschlussvorlage vom März 2022
https://www.regensburg-digital.de/wp-content/uploads/2022/03/16-Hauoptrouten-Fahrraeder.pdf
Gegenstand: Konzept „Entwicklung eines Hauptradroutennetzes (Radlrouten Regensburg) - Bericht“, erstellt von Inovaplan GmbH (Karlsruhe)  als Grundlage für die weiteren Planungsschritte und die Umsetzung eines Hauptradroutennetzes in Regensburg