Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Montag, 10. April 2023

Johannes Steubl in der Städtischen Galerie

Position R12 – Johannes Steubl
 4. März bis 7. Mai 2023
Städtische Galerie im Leeren Beutel 
Dienstag bis Sonntag, 10 – 16 Uhr
Freier Eintritt für alle Besucherinnen und Besucher!

Seit dem 4. März gibt es eine sehenswerte Ausstellung in der Städtischen Galerie, die am selben Abend wie die hier besprochene Ausstellung im KuG eröffnet wurde, weshalb ich die Vernissage verpasst habe: Johannes Steubl, in der Reihe "Position R". 

Von dieser Ausstellung haben so viele Kunstkenner in höchsten Tönen geschwärmt, dass ich schon ganz neugierig war. Aber erst am Karsamstag kam ich dazu, die Ausstellung zu besuchen. Und so wie es aussieht, muss ein zweiter Besuch her, um die Fülle von Werken detaillierter zu betrachten. 


Johannes Steubl


Meine Bekannten haben durchaus zu recht geschwärmt. Der Künstler beherrscht sehr viele Techniken (Zeichnungen, Radierungen, Tusche, Acryl, Öl). Und er hat unglaublich viel zu sagen, soll heißen: er setzt sich in erstaunlich vielen Werkreihen mit unterschiedlichsten Themen auseinander - und ändert dabei auch oft Stil und Technik.

Bei vielen Werken beweist er den genialen Humor eines Karikaturisten. Zum Beispiel die breitleinwandigen (also streifenartigen) Gemälde, die er "Friese" nennt. Denn in einem Fries werden an den Wänden alte Gebäuden oft Geschichten erzählt - ich persönlich denke dabei an das Nordgiebelfeld der Walhalla, auch wenn das jetzt kein typisches Fries darstellt: Von links sieht man die Germanen in der Schlacht im Teutoburger Wald gegen die von rechts anstürmenden Römer.


Johannes Steubl karikiert solche Ansätze, z.B. im "vatikanischen Fries", wo von links die Schweizer Garde kommt, von rechts die Touris auf Rollern und in der Mitte gibt es Kuddelmuddel. Oder im Fronleichnamsfries, wo von links Radrennfahrer kommen und von rechts eine Fronleichnamsparade, oder im genialen Blech-und-Pauken-Fries (den ich nicht auch noch beschreiben will, um dem Leser nicht zu viel Vergnügen vorwegzunehmen). Da ist jeweils nicht nur die Gesamtidee lustig, auch die Details sind von den Rändern bis zur Mitte einfach hervorragend konzipiert.


Andere Serien sind ernst. Hervorstechend fand ich dabei eine Kafka-Umsetzung, eine Gemäldeserie mit dem Titel "Der Schlag ans Hoftor".

Der Schlag ans Hoftor heißt eine kurze unheimliche Erzählung von Franz Kafka. Johannes Steubl hat die komplette Erzählung in gut zwei Dutzend Acryl-Bildern umgesetzt, wobei jedes Bild wiederum mehrere Teilbilder zeigt - im Graphic-Novel-Stil also. 

Unter jedem Bild befindet sich der zugehörige Textabschnitt, und wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, hat er die komplette Geschichte erzählt ohne etwas auszulassen (ich habe zu Hause natürlich gleich die Geschichte gelesen; den Volltext drucke ich am Ende dieses Artikels ab). Falls Ihr den Eindruck habt, es fehlen ein paar Bilder: guckt in die kastenartigen Kammer an der Westwand des Raumes.

Eine andere Serie von Zeichnungen mit dem Titel "Fickle Heroes" beschäftigt sich mit der Cosplay-Szene, bei der Fans sich wie Comic-Figuren kostümieren. 

Für die Serie von Zeichnungen mit dem Titel "Dreich" war ein Ausflug nach Schottland ausschlaggebend. Mit kleinformatigen Zeichnungen wollte der Künstler "den schwierigen Versuch unternehmen, etwas von dieser Atmosphäre Schottlands einzufangen, soweit dies für einen Auswärtigen auf Urlaub möglich ist" (so die Formulierung des Künstlers auf seiner Webseite)

Eine  Mischung von ironisch und ernst ist die Zeichenserie "Girls Girls Girls", worin der Künstler einen dreitätigen Besuch einer Gruppe aus Bayern auf der Reeperbahn verarbeitet.

Äußerst kreativ ist die Serie von Acrylbildern mit den Titeln "Bedarfshalt" und "Bushaltestelle". Darin werden - kuriose bis bizarre - nächtlichen Szenerien an Bushaltestellen gezeigt, wie man sie von einem vorbeifahrenden Bus aus sehen würde. Die Bilder wirken (obwohl sie nicht photorealistisch gemalt werden) sehr echt und man hat den Eindruck, hier wurden mit dem Blitzlicht Fotos aus dem Bus heraus geschossen.

Da gibt es noch eine Serie von bunteren Ölbildern mit dem Titel "Armes Tier", bei der wieder sehr viel Humor durchspitzt . "Nicht jeder Bewegungsablauf ist für jede Anatomie geeignet – versuchen etwa Tiere, alltägliche menschliche Tätigkeitsroutinen nachzumachen, wirkt das in den meisten Fällen komisch oder sogar bemitleidenswert", schreibt der Künstler auf seiner Webseite. Bei der Zusammenstellung dieser Bilder gehe es mehrheitlich um solche tierische Unzulänglichkeiten, oder einfach um bizarre Lebensformen, die sich nur in der Fiktion der Malerei denken lassen (Beispiele für Titel: "Tier zieht Unterhose an", "Schnake aufgestrapst", "Frosch theatralisch")


Wieder eine andere Serie von Zeichnungen ("Inhabitants of Llareggub") setzt ein 1954 erschienenes Hörspiel von Dylan Thomas um. Unter dem Titel "Under the Milkwood" hatte Dylan Thomas ein fiktives walisisches Fischerdorf namens Llareggub (= Buggerall rückwärts) erfunden. Die Figuren in diesem Stück (später auch Theaterspiel und Film) hat Johannes Steubl karikiert.

Dafür, dass der Künstler noch nicht so alt ist, gibt es erstaunlich viele weitere Serien. Zum Beispiel die "geborstenen Ritter", großformatige Zeichnungen von toten Insekten, die mit ihren Panzern an Ritter erinnern, die Serie von Tuschezeichnungen mit dem Titel "Classic at heart", oder der düsteren und beeindruckenden Gemäldeserie "Seance", die einem gleich beim Eintritt begrüßt und schon viele Besucher beeindruckt hat.

Auch wenn sie es wert wären, verzichte ich hier auf Erläuterungen, die man auch bei der Ausstellung nachlesen kann. 

Ich möchte aber auf eine Serie von Ölbilder eingehen, die den Titel hat: "Figura Serpentinata". Diese Bilder sind eine humorvolle Abwandlung eines Kunst-Stils aus der klassischen Malerei. Mit Figura Serpentinata werden bildhauerische Werke bezeichnet, bei denen sich Menschen wie Schlangen winden. Der Künstler hat es auf seiner Seite schöner als Wikipedia beschrieben: "Figuren werden in einem Höhepunkt voll dramatischer Ekstase gebündelt. Menschliche Gestalten türmen sich auf, winden sich um sich selbst und umschlingen einander in gewagtesten Positionen."

Beispiele wäre die berühmte Lakoon-Gruppe, oder der  Raub der Sabinerinnen (die Skulptur in Florenz). Und schon die Titel versprechen gute Laune bei der Anwendung des Stils in einer sinnfreien Umgebung, z.B. "Wir wechseln eine Glühbirne", "Die Sabinerinnen schlagen zurück" oder "Zwei Herren sind einer Dame irgendwie behilflich".

Ach ja: vergessen Sie nicht die Zeichnungen in der Vitrine, die man leicht übersieht, wenn man sich auf die Wände konzentriert. Die interessante Serie heißt "Ist da wer" und ich musste nachträglich recherchieren, um etwas Verständnis zum Thema zu bekommen. Offenbar waren diese Zeichnungen von Steubl in größerem Format schon mal an Regensburger Litfaßsäulen sichtbar, und zwar anlässlich der "360-Grad-Kunst-an-Litfaßsäulen"-Aktion der Stadt Regensburg. Daher gibt es auch einen Text dazu auf einer Webseite der Stadt, und daher weiß ich: 

Inhaltlich drehte sich die Erzählung mit dem Titel "Ist da wer?" um die Intimität des eigenen Heims und den geheimen Neigungen, denen dort gefröhnt werden kann. Die Enge der vier Wände hat gute und schlechte Seiten – Schutz vor neugierigen Blicken versus Isolation und die Frage, ob es noch eine Welt jenseits der Türschwelle gibt.
...
Anstoß und Grundlage des grafischen Zyklus war ein ausrangierter Block mit Schnittmustern für architektonische Papiermodelle, in die es jede der Zeichungen einzupassen galt. Enge und Begrenztheit der Flächen wurden aus den zufällig vorgefundenen Namen und Wörtern des Blockes heraus entwickelt. https://www.regensburg.de/kultur/veranstaltungen-des-kulturreferats/corona-projekte/360-kunst-an-litfasssaeulen/johannes-steubl

Die Ausstellung läuft noch bis 7. Mai. Daneben gib es die Dauerausstellung im II.OG rechts und (mittlerweile) eine weitere Sonderausstellung im II OG links.

Den Ausstellungskatalog kann man sich leider nur als Muster ansehen. Kaufen muss man ihn beim Museum. Denn das ist der (verschmerzbare) Nachteil der Einführung des kostenlosen Eintritts anlässlich der Pandemie: es gibt logischerweise keine Kasse mehr, also verkauft man auch keine Kataloge.

Webseite des Künstlers:

Über ihn selbst findet man eher hier Informationen:

Webseite zur Ausstellung:

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag, 10 – 16 Uhr
Freier Eintritt für alle Besucherinnen und Besucher!

Veranstaltungsort
Städtische Galerie im Leeren Beutel
Bertoldstraße 9
93047 Regensburg

Pressetext (von der Seite "regensburg.de")
Die Ausstellung zeigt ein breites Spektrum grafischer und malerischer Werke, die die figürliche Darstellung zum Ausspinnen bildlicher Narrative nutzen. Zu sehen sind unterschiedliche Werkreihen, wie beispielsweise „An der Bushalte“, ein 21-teiliger Zyklus, der, ausgehend von alltäglichen Situationen, sich auf skurrile Art und Weise mit diesen beschäftigt. Eine weitere Serie mit dem Titel „Fickle Heroes“ setzt sich mit dem Phänomen Cosplay auseinander und verarbeitet die Identifikation der Animé- Comic- und Manga-Fans mit ihren Heldinnen und Helden.

Den Künstler zeichnet eine unglaubliche Bildfindungsgabe aus, die sich das eine Mal fantasievoll, das andere Mal nah am Leben zeigt. 

Inspirieren lässt sich Johannes Steubl von der Literatur (Ernst Jünger, Franz Kafka und Dylan Thomas) genauso wie von Reiseeindrücken aus Schottland oder dem Hamburger Nachtleben auf der Reeperbahn. 
Dabei fällt die von ihm eingesetzte Formensprache aus Parallelschraffuren ins Auge.
Wer sehen will, wie ein Regiment im Stechschritt mit einer Schuhplattler-Performance kollidiert, dem sei diese Ausstellung dringend empfohlen…

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Hier der versprochene Text von Franz Kafka. 

DER SCHLAG ANS HOFTOR


Es war im Sommer, ein heißer Tag. Ich kam auf dem Nachhauseweg mit meiner Schwester an einem Hoftor vorüber. Ich weiß nicht, schlug sie aus Mutwillen ans Tor oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und schlug gar nicht. Hundert Schritte weiter an der nach links sich wendenden Landstraße begann das Dorf. Wir kannten es nicht, aber gleich nach dem ersten Haus kamen Leute hervor und winkten uns, freundschaftlich oder warnend, selbst erschrocken, gebückt vor Schrecken. Sie zeigten nach dem Hof an dem wir vorübergekommen waren, und erinnerten uns an den Schlag ans Tor. Die Hofbesitzer werden uns verklagen, gleich werde die Untersuchung beginnen. Ich war sehr ruhig und beruhigte auch meine Schwester. Sie hatte den Schlag wahrscheinlich gar nicht getan, und hätte sie ihn getan, so wird deswegen nirgends auf der Welt ein Beweis geführt. Ich suchte das auch den Leuten um uns begreiflich zu machen, sie hörten mich an, enthielten sich aber eines Urteils. Später sagten sie, nicht nur meine Schwester, auch ich, als Bruder werde angeklagt  werden. Ich nickte lächelnd. Alle blickten wir zum Hof zurück, wie man eine ferne Rauchwolke beobachtet und auf die Flamme wartet. Und wirklich, bald sahen wir Reiter ins weit offene Hoftor einreiten. Staub erhob sich, verhüllte alles, nur die Spitzen der hohen Lanzen blickten. Und kaum war die Truppe im Hof verschwunden, schien sie gleich die Pferde gewendet zu haben und war auf dem Wege zu uns. Ich drängte meine Schwester fort, ich werde alles allein ins Reine bringen. Sie weigerte sich, mich allein zu lassen. Ich sagte, sie solle sich aber wenigstens umkleiden, um in einem besseren Kleid vor die Herren zu treten. Endlich folgte sie und machte sich auf den langen Weg nach Hause. Schon waren die Reiter bei uns, noch von den Pferden herab fragten sie nach meiner Schwester. Sie ist augenblicklich nicht hier, wurde ängstlich geantwortet, werde aber später kommen. Die Antwort wurde fast gleichgültig aufgenommen; wichtig schien vor allem, daß sie mich gefunden hatten. Es waren hauptsächlich zwei Herren, der Richter, ein junger lebhafter Mann und sein stiller Gehilfe, der Aßmann genannt wurde. Ich wurde aufgefordert in die Bauernstube einzutreten. Langsam, den Kopf wiegend, an den Hosenträgern rückend, setzte ich mich unter den scharfen Blicken der Herren in Gang. Noch glaubte ich fast, ein Wort werde genügen, um mich, den Städter, sogar noch unter Ehren, aus diesem Bauernvolk zu befreien. Aber als ich die Schwelle der Stube überschritten hatte, sagte der Richter, der vorgesprungen war und mich schon erwartete: Dieser Mann tut mir leid. Es war aber über allem Zweifel, daß er damit nicht meinen gegenwärtigen Zustand meinte, sondern das, was mit mir geschehen würde. Die Stube sah einer Gefängniszelle ähnlicher als einer Bauernstube. Große Steinfließen, dunkel, ganz kahle Wand, irgendwo eingemauert ein eiserner Ring, in der Mitte etwas, das halb Pritsche, halb Operationstisch war.

Könnte ich noch andere Luft schmecken als die des Gefängnisses? Das ist die große Frage oder vielmehr, sie wäre es, wenn ich noch Aussicht auf Entlassung hätte.

Unverändert übernommen aus: https://de.wikisource.org/wiki/Der_Schlag_ans_Hoftor