Regensburger Tagebuch

Notizen von der nördlichsten Stadt Italiens

Mittwoch, 21. Juni 2023

Geschichte des KunstvereinGRAZ - 2003 bis 2023

Anlässlich der Abschlussveranstaltung im KunstvereinGRAZ am 24.06.2023 möchte ich einen Rückblick auf die bisherige  Geschichte des Vereins verfassen. Denn soweit ich das erkennen kann, ist das nirgendwo umfassend dokumentiert.

Da auf der Vereinsseite der informative Aufsatz von Gerd Burger nicht mehr existiert, musste ich erst mühsam in meinen alten Artikeln recherchieren.  Viel  Material, das ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte,  ist verloren gegangen, Links zu informativen Artikel sind mittlerweile tot. Meine Rettung waren die archivierten Website-Abbildungen auf der "wayback-machine" von archive.org, wo ich die Webseite des Vereins bis zurück zum Jahr 2003 verfolgen konnte.

Überblick:

Die Gruppe formierte sich im Jahre 2002 und wurde gemäß früheren Selbstdarstellungen im Jahre 2003 als nicht eingetragener Verein gegründet. Im Jahre 2008 wurde der Verein zum eingetragenen Verein.  Schreibweise: "KunstvereinGRAZ e.V." ohne Leerzeichen. Eine hervorragend designte Webseite unter der domain www.kunstvereingraz.de gab es spätestens ab 2003.

1. Domizil: 2002 bis März 2008, ein ehemaliges Bahnhäuschen neben der Ladehofstraße
2. Domizil: September 2008 bis August 2018, Schäffnerstraße 21, ehemalige Schlosserei Steidl
3. Domizil: August 2021 bis Juni 2023: Obere Bachgasse

Gründungsmitglieder 2003 waren:
  • Gisela Bender
  • Jürgen Huber
  • Stefan Göhler
  • Trude Donauer
  • Wolfgang Grimm
  • Christian Havlicek
  • Gerd Burger
  • Barbara Krohn
  • Gebrüder Teichmann
  • Wolfgang Reuther
  • Martin Haigis = BeigeGc
Liste der Vorstände ab e.V.-Gründung 2008:
  • Jürgen Huber, 2008 - 2010
  • Renate Christin 2010 - 2015
  • Albert Plank 2015 - 2019
  • Jörg Haala 2019 bis heute


1. Domizil: Ladehofstraße

Im Sommer 2002 taten sich vier Maler zusammen, renovierten das ca. 600 qm große ehemalige Zugleiterhaus im Gleisgelände des ehemaligen Verladebahnhof nahe der Ladehofstraße, richteten Ateliers und einen Veranstaltungsraum ein und riefen einen freien Kunstverein ins Leben. Das waren Stefan Göler, Wolfgang Grimm, Christian Havlicek und Jürgen Huber.

Der Name des Kunstvereins kommt daher, dass neben dem ersten Gebäude ein Hinweisschild mit der Aufschrift GRAZ stand. Dieses Schild zeigte den ausfahrenden Zügen die Gleisrichtung an. Der Verein hatte also nie etwas mit der Stadt Graz zu tun. Aber bis heute muss ich verwirrten Bekannten erklären, dass der Kunstverein GRAZ ein Regensburger Künstlerverein ist.


Die Geburtsstätte  des Kunstverein GRAZ, leerstehend seit 2008, fotografiert am 19.10.2013
 


Google-Earth-Screenshot 2004


Nordseite des Gebäudes



Auf der Startseite der Webseite stand im Jahr 2003 (abrufbar über web.archive.org) folgender Text:

Im westlichen Bahnhofsbereich liegt mitten im Gleisbett der Kunstverein GRAZ, der Ateliers, Musikstudio, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume auf über 600 qm beherbergt.

Ziel des Vereins ist, zeitgemässe Regensburger Kulturaktivi-
täten zu organisieren. Dies geschieht durch Kommunikation, Ausstellungen, Konzerte, Theater, Tanz, Symposien und Bildungsveranstaltungen.

Durch die multimediale Zusammensetzung des Vereins, vor allem durch die Kooperationsbereitschaft mit anderen Projekten, verspricht sich GRAZ eine massgebliche Bereicherung des Regensburger Kulturlebens.

GRAZ will ein Kompetenzzentrum für genreübergreifende Kultur sein. GRAZ unterstützt aktiv die Regensburger Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010.

Auf der Unterseite "Verein" befand sich damals ein Text von Gerd Burger, der zusätzlich in ausführlicherer Form als PDF herunterladbar war (und witzigerweise heute noch ist, da die PDF von web.archive.org mit gesichert wurde):
GRAZ oder WO oder WER oder WAS …
Text von Gerd Burger, GRAZer der dritten Stunde


Wo?

Graz liegt in der Steiermark, wie jeder weiß – doch nein, diesmal stimmt das nicht, denn GRAZ liegt in Regensburg in Bayern, mitten im Niemandsland zwischen den Eisenbahngleisen im alten Güterbahnhof. Aber GRAZ steht nun mal in großen schwarzen Lettern auf dem Wegweiser über den Schienen, also muß die Ortsangabe stimmen.

Wer?

Im Sommer 2002 taten sich vier Maler zusammen, renovierten das ca. 600 qm große ehemalige Zugleiterhaus, richteten Ateliers und einen Veranstaltungsraum ein und riefen einen freien Kunstverein ins Leben, um in Regensburg für frischen Wind zu sorgen: Stefan GölerWolfgang GrimmChristian Havlicek und Jürgen Huber.

Sehen - Die bildenden Künstler

Im Ausstellungssaal im ersten Stock fanden im ersten Jahr rund 20 Ausstellung, Konzerte, Diskussionen, Parties statt, im Erd-
geschoß hat Wolfgang Grimm seine Schule der Phantasie ein-
gerichtet. Im Parterre & im ersten Stock gibt’s also immer was zu sehen... in zwölf Monaten für gut und gerne 4000 Besucher.

Hören - Die Tonspezialisten

Im Keller dafür was auf die Ohren. Hier unten ist das Reich der Popband beigeGT, die in den GRAZkatakomben ihr Aufnahme-
studio betreiben. Zwei der Jungs haben überdies als DJs einen so guten Namen, daß sie als Gebr. Teichmann von Berlin bis Barcelona ihre Technobeats auf dem Plattenteller kreisen lassen.

Lesen - Die Buchstabenvirtuosen

Ganz oben in ihrem Zimmer für sich allein fängt die Schrift-
stellerin Barbara Krohn in Gedichten und Romanen Welt & Individuen in Feinschraffur ein oder folgt in Gedanken den Schienen, die vor dem Fenster teils zielstrebig & blank, teils rostig & weidendurchwachsen gen Westen ins Abendrot laufen.

Der literarische Übersetzer Gerd Burger schließlich und die drei Vereinsmacherinnen Gisela BenderClaudia Heß & Trude Donauer komplettieren die GRAZer Runde.

Was?

Doch egal, ob oben, unten, rechts oder links im Flur: im Hause herrscht Bewegung. In GRAZ zieht man nicht immer am selben Strick und sitzt nicht nur räumlich zwischen den Geleisen – GRAZ bietet den GRAZern Raum & Gelegenheit für Projekte und Aus-
stellungen
, den Regensburgern Begegnungen mit inter-
nationalen Künstlern, Symposien, Techno-Raves, Lesungen
 u.a.m. (auf eigene Gefahr, versteht sich – kein Kaiser, kein Tribun und auch kein Soziokultursrangierbahnhofsoberamtsrat, nein, nur der GRAZer von nebenan kann beim Geplanten weiterhelfen – oder auch nicht, ganz wie er/sie mag).

Und, GRAZ ist ein Kunstverein ohne Berührungsängste gegenüber anderen Genres.


GRAZ ist also ein bunter Hund, ein gemeinsames Stellwerk für die unterschiedlichsten Formen künstlerischen Tuns, ein Ort der Stille, der Farben, der Formen, der Töne, der Worte, ein Treff-
punkt im Niemandsland zwischen den Gleisen, in dem Gäste willkommen sind, gleich, ähnlich oder auch ganz anders Gesinnte.

(eine pdf-Datei mit der langen Textversion können Sie HIER öffnen und anschließend drucken oder herunter laden)
Die PDF mit dem ausführlicheren Text ist über diesen Link abrufbar:

Ein Ausschnitt aus dem ausführlichen Text beschreibt unter anderem die Lage innerhalb der Gleise näher. Damals waren offenbar noch ein paar der Gleise benutzt.

  • Kurzum: GRAZ liegt in Regensburg in Bayern und dort mitten im Niemandsland zwischen den Eisenbahngleisen, genau wie Böhmen bei Shakespeare am Meer liegt & auch die Eisenbahn im Güterbahnhofsbereich um GRAZ herum schon regere Tage erlebt hat; ganz links herrscht noch regulärer Zugverkehr auf drei oder vier Schienensträngen, auf weiteren vier Paaren wird zumindest regelmäßig rangiert, auf zwei Geleisen direkt vor dem Haus nur noch selten, zwölf Gleispaare nördlich des Hauses erobert sich seit mehreren Jahren die Natur zurück, die mit sicherem Gespür für Farbe & Form & Inhalt Königskerzen, Birken, Weiden, Buschwindröschen, Beinwell und andere unauffällig auffällige Schönheiten mehr ins Schotterbett pflanzt, um wenigstens floral für eine blühende Industrielandschaft zu sorgen.

Auf der Unterseite  "Die Macher" (abrufbar über web.archive.org/...) fand man im Dezember 2003 folgende Liste von Mitgliedern der Künstlergruppe:



Die Links funktionieren noch und führen zu Seiten mit genauerer Beschreibung der Künstler.

Interessant ist auch die Unterseite "Schule der Fantasie". Wolfgang Grimm, der nebenher an der Montessori-Schule Kunst unterrichtete, organisierte hier Kurse. (https://web.archive.org/web/20040611220916/http://www.kunstvereingraz.de/codes/sdf/schule1.htm)


Veranstaltungen in der Ladehofstraße

Hier habe ich nicht viel eigenes Material. Ich lernte den Kunstverein erst ein paar Wochen vor der Schließung des Domizils in der Ladehofstraße kennen, und zwar durch einen Kontakt mit Jürgen Huber. 

Als letzte Aktion in der Ladehofstraße gab es das "fieldrecording-festival", das ich am vorletzten Tag besuchte (Februar 2008):

Jürgen Huber und Gisela Bender auf dem fieldrecording festival, 2008
https://www.regensburger-tagebuch.de/2008/02/kunstvereinz-graz-ladehofstrae-die.html











Weitere Bilder von diesem Festival sieht man hier in diesem Artikel:
https://www.regensburger-tagebuch.de/2008/02/kunstvereinz-graz-ladehofstrae-die.html


Im Jahre 2008 musste der Verein aus den Räumen verschwinden, obwohl das Häuschen noch sieben Jahre lang auf dem Gelände stand. Erst 2015 gab es den Abriss. Hier sind meine Fotos von 2013 bis 2015 anlässlich von Streifzügen durch das gerodete  Gelände:

Einfahrt zum Bahngelände von der Ladehofstraße aus (heutige "Niedermayerstraße")
mit Yorki im Vordergrund



Einer der Malibu-Liegestühle, die bei der letzten Veranstaltung im Ausstellungsraum standen




Einige der Gleise existierten noch:


In den folgenden Jahren wurden nach und nach das Gelände gerodet, die Gleise entfernt, und dann die Gebäude abgerissen

Abriss 2015:

Wutzl (Yorki) schnuppert an der Resten des GRAZ-Gebäudes

Einen der bemalten Steine habe ich mir als Souvenir mitgenommen


Reste des ehemaligen Hauses des Kunstverein GRAZ in der
Ladehofstraße - Foto vom  20.02.2015. 




2. Domizil:  Schäffnerstraße 21:

Im Frühjahr 2008 musste das Häuschen an der Bahn verlassen werden. Im Herbst gab es eine Eröffnungsfreier für die neuen Atelier- und Ausstellungsräume in der ehemaligen Schlosserei Steidl in der Schäffnerstraße.

Es war ein genialer Schachzug, in die Werkstatträume einer ehemalige Schlosserei umzuziehen, denn die Atmosphäre dieser Räume, an deren ungeraden Wänden alte Aufputzleitungen und Lichtschalter sichtbar waren, war genauso passend wie diejenige im Bahnhäuschen. Das Ganze erinnert mich an das ehemalige Tacheles in Berlin. In der Schäffnerstraße fanden ab 2008 viele wunderschöne Veranstaltungen statt, wovon ich viele in meinem Regensburger Tagebuch dokumentiert hatte. Hier ein paar Beispiele:

Eröffnungsveranstaltung mit Thema Graffitti und Straßenkunst im September 2008

(Die Linkadresse enthält scheinbar das Datum 2011, obwohl der Artikel 2008 entstand -  das liegt daran, dass der Artikel verloren ging und ab 2011 rekonstruiert wurde: https://www.regensburger-tagebuch.de/2011/09/regensburger-kunstverein-graz.html)






Ausstellung "Zwielicht - die Kunst der blauen stunde" 2012 

Eine der genialsten Aktionen des Vereins in den Räumen in der Schäffnerstraße

https://www.regensburger-tagebuch.de/2012/12/vernissage-zwielicht-im-regensburger.html









Einbindung des Kunstvereins in die Kurzfilmwoche 2012:



Ausstellung microwesten in 2011:
https://www.regensburger-tagebuch.de/2015/01/die-kunstlergruppe-microwesten.html


Mitglieder der Künstlergruppe microwesten - Ausstellung im Kunstverein GRAZ in Regensburg, Juli 2011


Jahresausstellung 2013 (GRAZifikation 2013)




Ausstellung "Stadtgeschichten" im Mai 2013

https://www.regensburger-tagebuch.de/2013/05/ausstellung-stadtgeschichten-im-graz.html






GRAZifikation 2014 (Jahressausstellung 2014)


Das Thema der Ausstellung lautet übrigens: "Möglichkeiten eines Dialogs". Beachte die Kombination der zwei Bilder.



Einfach mitreissend: Manfred Schimchen (audiomagic Tonstudio) schmettert eine  Version von j'taime auf Klingonisch

Weitere Fotos: https://www.regensburger-tagebuch.de/2014/12/bilder-von-der-vernissage-grazifikation.html


Jahressausstellung 2015 (GRAZifikation 2015):
https://www.regensburger-tagebuch.de/2015/12/bilder-von-der-jahresausstellung-im.html





Eva Karl (heute Eva Karl-Faltermeier) und Renate Christin bei der Jahres-VA 2015
Eva Karl hatte sich im Jahre 2015 wieder mit dem Verein versöhnt und hat - passend zum Thema der Aussprache - unter dem Titel "Dialog" eine hervorragende Lesung präsentiert, die ich damals als "kabarettistisch" bezeichnet. Später wurde sie dann auch tatsächlich mit diesem Talent als Kabarettistin bekannt (https://www.regensburger-tagebuch.de/2015/01/bilder-von-der-finissage-im-kunstverein.html).

Mehr Fotos: https://www.regensburger-tagebuch.de/2015/12/bilder-von-der-jahresausstellung-im.html


KunstvereinGRAZ, eingebunden in den Galerienabend 2015:

Ausstellung im Kunstverein GRAZ des letzten artist-in-residence-Künstlers

GRAZ Innenhof mit Lichtinstallation von Havlicek; in der Mitte: Albert Plank im Gespräch



GRAZ im Bürgerfesttrubel 2015 



"Schwarze Arbeiten" Ausstellung im April 2015:






GRAZ Hinterhof Schäffnerstraße bei der Abschiedsparty. An die Wand projeziert:
die Bilder von GRAZ-Mitglied Christian Havlicek
















Adieu Schäffnerstraße



Rück-Blick in den Innenhof-Eingang beim Verlassen einer Ausstellung - seit
vielen Jahren eines meiner persönlichen Lieblingsfotos, auch wenn es keine Bildaussage hat.


3. Domizil: Obere Bachgasse

2021: nach drei Jahren ohne festes Domizil gab es eine Eröffnung in den Räumen der Oberen Bachgasse. Ein Domizil, das leider nicht annähernd die Atmosphäre der früheren Räume ersetzen konnte, aber immerhin feste Ausstellungsräume und ein Atelier bot. Teilweise mussten bei den Veranstaltungen die Corona-Bedingungen eingehalten werden - also nicht nur Maskenzwang, sondern auch limitierter Zugang mit kleinen Gruppen, während die anderen Besucher auf der Straße die Führungen abwarten mussten. Da kam bei weiten nicht so viel Stimmung wie in den früheren Domizilen auf.


Eröffnungsfeier im August 2021
https://www.regensburger-tagebuch.de/2021/08/kunstverein-graz-hat-die-neuen-raume-in.html

Eine beeindruckende Ausstellung der Künstlerin Fatima Durovic, die leider an der Vernissage nicht teilnehmen konnte.
https://www.regensburger-tagebuch.de/2022/05/tipp-fatima-dur-im-kunstvereingraz.html


Fatima Durovic im Kunstverein GRAZ
https://www.regensburger-tagebuch.de/2022/05/tipp-fatima-dur-im-kunstvereingraz.html



Juni 2022: Werke von Kevin Coyne und Jürgen Huber

Lesung im Kunstverein GRAZ am 10.06.2022




Gründungsmitglied Jürgen Huber, hier im Rahmen einer Lesung von ihm (2022)



Vorstandsvorsitzender Vincent Pollak vom Kunstverein GRAZ






Am 24. Juni 2023 gibt es dann noch eine Abschlussveranstaltung als letzte Aktion in den Räumen in der Bachgasse.  Die Fotos werde ich hier nachtragen. Ich wollte den Artikel aber schon jetzt veröffentlichen, um die Leute auf den Verein (und die Abschlussveranstaltung) neugierig zu machen.

Nachtrag: Fotos vom 24.06.2023








Vincent Pollack, Vorsitzender des KunstvereinGRAZ e.V.