Was bleiben wird ist der brancheninterne Informationsdienst "KUNST" (schon 1991 gegründet, also fünf Jahre vor der Kunstzeitung) und das Unternehmen "Lindinger & Schmid GbR" als Beratungsunternehmen in Berlin.
Die Einstellung der Kunstzeitung fand bundesweit in starkes Echo in vielen Medien. Sogar in Luxemburg, wo die Zeitung offenbar auch in den Galerien auslag, erschien ein ausführlicher und bedauernder Artikel im dortigen "Tagblatt". Die von L&S vorgebrachten Gründe für die Einstellung werden viel beachtet und diskutiert - denn sie haben mit der Branchenentwicklung zu tun.
Ich persönlich habe die Zeitung gern gelesen, vorzugsweise im Palletti, wo die Zeitung bis zum Schluss auslag.
Die Kunstzeitung
Die Zeitung startete 1996, als Wohnort und Verlagsort noch Regensburg war - das Verlegerehepaar zog erst 2013 mitsamt Verlag nach Berlin, dort in 1200 qm große Räume. Vorher schon hatte das Paar ein Büro in Berlin angemietet (2003/2004).
Die Zeitung enthält nicht nur Veranstaltungshinweise, sondern Kritiken, harte Nachrichten und Randbetrachtungen zum internationalen Kunstbetrieb. Ein Netz von mehreren Dutzend freien Mitarbeitern schrieb für die Zeitung. Offenbar wurde der kritische Ton nicht immer vom Kunstbetrieb geschätzt und führte möglicherweise zur Umsatzflaute nach der Pandemie - worauf ich später noch näher eingehen werde.
Die Zeitung wurde kostenlos in Museen Kunstvereinen, Galerien, Universitäten und Buchhandlungen verteilt - insgesamt 1.900 Stationen. Gemäß Impressum beträgt die Auflage 200.000 Exemplare. Die Verteilung erfolgte im gesamten deutschsprachigen Raum. Im Jahr 2013 (? zu verifizieren) zog das Verlegerehepaar nach Berlin um.
In den 20 Jahren davor haben die Herausgeber in Regensburg gewirkt, und zwar sowohl mit einer Galerie und mit diversen Veranstaltungen als auch mit dem schon genannten Branchenblatt "Kunst".
Das Ende der Kunstzeitung
"Wir wollen nicht mehr, wir steigen aus". Das sei eine wohlüberlegte Entscheidung und keine spontane Notiz.
Die Gründe findet man sowohl in einem Beitrag in der letzten Ausgabe als auch auf ihrer Homepage. Zusammen genommen ergeben sich zwei Hauptgründe, die wiederum eine gemeinsame Quelle haben, nämlich den Einbruch der Anzeigeneinnahmen im Rahmen der Pandemie.
- Die Einnahmen haben sich nach der Pandemie nicht genügend erholt, so dass der Verlag im Minus arbeitet und die Verleger jeden Monat privates Geld drauf legen müssen. Sie machen dafür aber nicht nur die allgemeine Entwicklung verantwortlich (unter anderem eine oberflächlichere Einstellung der Kunstmuseen zum Thema Werbung und Kunstvermittlung), sondern deuten auch an, dass sich ihre jahrelange kritische Berichterstattung über die Kunstbranche rächt. Angeblich wurde der Verlag im Laufe der Jahre immer öfter um günstigere Berichterstattung gebeten, wenn man Anzeigen schalte. Etwas, dem sich der Verlag nie beugen wollte
- Keine Corona-Hilfen: während beispielsweise der private Hörfunk 20 Millionen Zuschuss für coronabedingten Einnahmeausfall bekam, erhielt der Verlag entgegen ihrem Antrag keinen Cent aus dem „Neustart-Etat der Kulturstaatsministerin“ - mit offenbar fragwürdigen Argumenten. Das hat die Verleger deutlich verärgert und offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht.
Kritische Berichterstattung
Dass das Paar, das seit 1991 in Regensburg wirkte, mit der Kunstzeitung nicht nur irgend ein Anzeigenblatt herausbringen wollten, sondern ihr Bestreben war, wirklich Kunst vermitteln und kritisch zu berichten, ist allgemein anerkannt und weiß jeder, der Ausgaben der Kunstzeitung aufmerksam gelesen hat.
Dass das zu Konflikten führte, ist glaubhaft. So hatte die Zeitung 2019 eine eigene Kampagne gestartet (Titel "Meinungsvielfalt-Faktenjournalismus-Pressefreiheit“ ) um gegen Einschüchterung von Enthüllungsjournalisten und erzwungene Selbstzensur in der Presse zu protestieren.
Dass Anzeigenkunden in Zusammenhang mit Anzeigen wohlwollende Berichterstattung wünschen, ist Insidern im Print- und Hörfunkbereich ebenfalls bekannt. Man mag darüber spekulieren, ob dies hier wirklich entscheidend für die relative Umsatzflaute war, denn immerhin gibt es auch konkurrierende Anzeigemöglichkeiten z.B. in der kostenlosen Kunszeitung"kunst:art" aus dem Atelierverlag. und es könnte wirklich stimmen, was die Verleger vermuten: die Museen waren früher an möglichst hohen Besucherzahlen interessiert, mittlerweile merken sie, dass die Träger schon zufrieden sind, wenn es irgendwie läuft - daher geben sie nicht mehr so viel für Werbung aus.
Diese eher systemimmanente Entwicklung, und vielleicht auch wirklich eine Reaktion auf die kritische Berichterstattung, sowie weitere Faktoren könnten schuld daran sein, dass nicht mehr genügend Werbeetat zur Verfügung steht.
Lindinger & Schmid in Regensburg
Gemäß Wikipedia ist der Verlag Lindinger & Schmid schlicht und einfach ein Berliner Unternehmen. Von Regensburg steht hier nichts. Aber hier haben sie lange Zeit gewirkt - ab 1991, so weit ich das recherchieren kann. Ab da gaben sie wohl auch den Brancheninformationsdienst "Kunst" heraus.
Im Jahre 1993 bezogen sie ein 1500 qm großes Haus an der Margartenstraße 8. Dort zeigten sie die ersten Jahre Kunst und holten dabei ganz große Namen nach Regensburg ( Franz Erhard Walther, Jürgen Klauke, Bernhard Blume, Hermann Nitsch und Jochen Gerz).
Das Paar, das durch ihr mondänes Auftreten in Regensburg auffiel, organisierten in Regensburg Performances und Installationen. Zum Beispiel die Arena di Scala, eine Kunstnacht in der Altstadt-Discomit Fluxus-Urgestein Al Hansen, oder ein tableaux vivant in Kumpfmühl mit der Bildhauerin Gloria Friedmann.
Außerdem gaben Sie Buchreihen heraus, und veranstalteten Seminare mit Kunsthistorikern Christophe Ammann und Manfred Schneckenburger. Sie haben also viel Bewegung in die ansonsten beschauliche Kunstszene in Regensburg gebracht.
Dass sie ansonsten hier nicht allzu viel Berichtenswertes sahen, kann man sich denken - gemäß eine Reportage von Marianne Sperb machte das Paar im Wochentakt Kunst-Tripps in andere Städte. Als sie nach Berlin zogen, waren sie euphorisiert darüber, dass sie jetzt mitten im Geschehen sind.
Anlass für den Wechsel war aber nicht Langeweile, sondern der Baulärm in ihrem Viertel. Zwei Jahre lang suchten sie in Regensburg, dann in München und schließlich in Berlin. Dort fanden Sie 1200 qm große Räume, die sie auch benötigten. Denn alleine die private Sammlung von Carlo Schmid machte 40000 Bände aus, dazu kamen Archiv und L+S-Buchreihen, die ab 1991 erschienen waren.„Wir gehen ohne Groll“, wird Herr Schmid zitiert, „Es waren wunderbare 20 Jahre.“ ("L+S zieht’s nach Berlin, von Marianne Sperb, MZ 25.3.2013)
Das Paar hatte schon 2004 ein Büro in Berlin angemietet und musste bis 2013 pendeln.