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Montag, 23. September 2024

Das Regensburger Wimmelbuch als Sonderausgabe




Seit 2012 ist es ein Dauerbrenner, das "Regensburg Wimmelbuch" vom Kulturpreisträger Peter Engel. 2018 kam eine Zweitauflage mit minimalen Änderungen.

Da es voller versteckter Hinweise auf die Geschichte Regensburgs ist, haben wir das Buch im Erwachsenenkreis schon vor Jahren betrachtet - und diskutiert. Denn manche Anspielungen versteht man nicht gleich. "Was bedeutet der Riesenfisch, der das Fenster wie ein Aquarium aussehen lässt - eines seiner Scherze, so wie der obligatorische Elefant?" "Nein", weiß dann irgendeiner in der Gruppe, "da war doch ein Zoobedarfsgeschäft in der Ecke am Neupfarrplatz" "Ahhh,jaaa, stimmt, da war der Haubensak - aber Moment mal, der war gegenüber und nicht im Haus, wo später die Bank war". "Halt, da war doch mal ein Geschäft, das hieß 'Fischl', vielleicht war das gemeint?"  und die Diskussion läuft. 

Mittlerweile ist mein zweieinhalbjähriger Enkel begeisterter Wimmelbuch-Leser, und so fiel mir die Pressemitteilung über eine neu herausgekommene Sonderausgabe auf, und ich besorgte mir ein Exemplar. 

Der Verlag legt Wert darauf, dass es keine Neuauflage, sondern eine andere Edition ist. Beim Pustet konnte man bis vor ein paar Tagen beide Versionen nebeneinander liegen sehen: 

  • bei der bisherigen Edition besteht jede Seite aus Pappkarton (ideal für Kindergärten) und auch Vorder- und Rückseite stellen eigenständige Wimmelbilder dar. Mangels Deckblätter vor und nach dem eigentlichen Inhalt gibt es keinerlei Hinweise auf Verlag oder Autor. 
  • dagegen ist die aktuelle  Sonderausgabe  eine Standard-Hardcover-Ausgabe: Einband als Hardcover, die übrigen Seiten auf normalem Papier. Es gibt einleitende Seiten und am Ende auch zusätzliche Seiten. Das Ganze sieht eleganter aus, vor allem, wenn man es im Erwachsenenkreis verschenkt.

Wie bisher auch sind die Bilder auf Einbandvorderseite und -rückseite eigenständige Wimmelbilder und tauchen im Inhalt nicht auf (das Sonderausgabe-Symbol auf der Startseite verdeckt glücklicherweise keine wichtigen Details). 

Bei den Bildern ergibt sich keinen Unterschied. Unterschiede gab es wohl nur von der 2012er zur 2018er Auflage: plötzlich war der gelbe Bus durch einen grünen Elektrobus ersetzt, das Polizeiauto hat die neue Farbgebung mit blau-gelben statt grünen Streifen, und die Tafel auf dem Theaterverkaufsstand im Stadtpark enthielt nicht mehr die Aufschrift "Coccodrilo-Theater" sondern den  Theatertitel "Herr Sturm und sein Wurm" (was korrekt ist, denn kurz nach 2013 war das von Michael Heuberger initiierte Kindertheater Coccodrilo auf Suche nach neuen Räumen - und tauchte dann nicht mehr auf. Das Stück von Herrn Sturm war übrigens eines der Stücke, die das Theater spielte).

Aber bei der Sonderedition ergaben sich keine Änderungen, und das hat mir der Verlag auch bestätigt..

Kaum zu Hause, studierte ich wieder mal die herrlichen Bilder von Peter Engel. 

Die Bilder enthalten zunächst mal sehr viele witzige Details - auf fast allen Seiten guckt ein kleiner Elefant hervor, öfter mal wird über die Dächer eingebrochen, ein Feuerwehrmann auf der Leiter guckt verdutzt auf Personen, die auf der Dachterasse grillen und am Horizont ist neben der Zugspitze ein Berg, darunter der Vermerk "K2 (bei sehr sehr guter Sicht". Im Justitiabrunnen am Haidplatz sieht man Haifischflosse neben Quietschente und Wasserball, und so weiter.

Aber ein das ganz besondere Merkmal dieses Wimmelbuchs ist etwas anderes: der Einbau geschichtlicher Details, die - ohne Rücksicht auf das Datum - in der jeweiligen Szenerie zusammengefasst wurden. Und das macht es für Regensburger so interessant. 

Das kann aus jüngerer Zeit sein, wie das oben genannte Beispiel des Fisches hinterm Fenster, oder aber das 19. Jahrhundert mischt sich rein und Napoleon steht auf einem Balkon. Natürlich am Haus am "Domplatz 6" - denn das war im Jahre 1809 tatsächlich das Hauptquartier Napoleons

Und das Gebäude gegenüber dem Dom dient im Wimmelbild noch aus Postgebäude, wie man aus diversen Details erkennt (inklusive dem Beamten, der eine Brieftaube aus dem Fenster entlässt), während andererseits unten das Reiterdenkmal steht, das eigentlich erst später (wieder) dort installiert wurde. Der König schaut auf diesem Denkmal übrigens nicht zum Dom, sondern verdutzt auf den Boden zu seiner Linken, wo ein kleiner Junge mit Königszepter auf einem Holzschaukelpferd schaukelt. Ob der Seiltänzer im Hintergrund auf eine frühere Veranstaltung hinweist? Ich weiß es nicht, aber irgendwann bekomme ich es heraus.

Aber ist das Buch für Kinder interessant?

Das Buch war erst ein paar Stunden in meinem Besitz, als zufälligerweise meine Schwiegertochter mit Enkel vorbeikamen - und das Buch entdeckten. Sie setzten sich hin - und saßen eine Stunde später immer noch da. Dem Kleinen gefiel es. Es störte ihn nicht (wie einem amazon-Rezensenten), dass die Häuser künstlerisch schräg positioniert sind. Mein Sohn war inzwischen auch hinzugekommen, und wir besprachen Details. Er wusste fast mehr als ich über die jüngere Geschichte.

Sohn und Schwiegertochter fanden außerdem die Bilder selbst hervorragend illustriert. Beide sind Kunsterzieher an verschiedenen Schulen. 

Dass sie durch ihre Ausbildung einen guten Blick haben (im Unterricht gibt es unter anderem den Punkt "Bildbeobachtung", wo man trainiert wird, Details zu erkennen), verblüffte mich meine Schwiegertochter, weil sie im Fünf-Sekunden-Takt witzige Aspekte sah, die ich in der Lektüre davor nicht erkannt hatte: "ha, da hinten ist die Pfaffensteiner Brücke mit Stau ... und davor der Eiserne Steg, eine der Segmente hängt durch, weil ein Liebesschloss dranhängt ... und hier, der Punk, der statt dem Bruckmandl auf dem spitzen Stein sitzt ...  und da: der Typ vorn am Schiff, das grad unter der Steinernen durchfährt, der macht die 'Ich fliege'-Geste aus Titanic ".

Auf der linken Seite dieser Doppelseite erkannte sie "da ist der Goliath, der den David durch die Straßen jagt". "Wo? Ich habe nichts gesehen!?" Aber tatsächlich erkannte ich es jetzt auch: Die Figuren hatten sich offenbar von der Fassade gerissen und Goliath jagte David durch die Brückstraße runter zur Lammgasse. 

Und so ging das weiter: sie erkannte noch vor mir das Selmaierhaus, aus dessen Fenster die Tiere guckten, den schon genannten K2, die vom Biber angenagten oder abgenagten Baumstämme in Stadtamhof, den Typ auf dem Keplerhaus, der mit dem Fernrohr in den Himmel sah, das Liebespaar, das auf dem Dachgiebel an einem romantisch gedeckten Tisch sitzen. Und sie machte mich auf die wiederholten Einbruchsversuche in Dächer aufmerksam, und gemeinsam suchten wir die Elefanten. Wir wissen bis jetzt nicht, ob sie auf jedem Bild sind. In dem mittleren Bild mit der "Ruhe-Oase" natürlich nicht, übrigens auch eine witzige Idee.   

Noch ein Nachtrag zu den "geschichtlichen Details": bei manchen Details denke ich mir, das muss sich sicherlich auf eine Ereignis beziehen - aber ich kenne das Ereignis nicht. Guter Anlass, bei Besuch von Bekannten das Wimmelbuch herauszusuchen, um an dem Rätsel zu knobeln. 

Der schimpfende Typ in der Gruppe von Touristen am Don-Juan-Denkmal aber dürfte klar sein: es gab Diskussionen in der Vergangenheit über die politische Korrektheit des Denkmals, weil da ein abgeschlagener Kopf am Fuß des "Retters des Abendlandes" liegt. Von unten kaum zu sehen. 

Ich kaufte die nächsten Tage ein Exemplar für einen Bekannten und seine Enkelkinder als Geschenk. Der ist zwar nicht aus Regensburg, liebt aber unsere Stadt. Das eine oder andere wird er nicht so verstehen, das ist klar. Aber es bietet immer noch genug Details zum Betrachten.




Das Buch stammt aus dem Regensburger Verlag "editionbuntehunde"

Autor ist der Regensburger Künstler, Illustrator und Bühnenbildner Peter Engel. Engel stammt aus Coburg, lebt aber seit mehr als zwei Jahrzehnten in Regensburg. Er hat viele Preise bekommen, unter anderen den Regensburger Kulturpreis (2023) und vorher schon den Regensburger Kulturförderpreis (2009). 

Eine Webseite fand ich nicht (ich suchte schon früher mal danach, als er nämlich den Kulturpreis bekam), aber es gibt einen Eintrag in der Regensburger Kulturdatenbank: 
https://www.regensburg.de/kultur/kulturdatenbank/eintrag/116802 und einen Eintrag beim BBK, allerdings inhaltlich auf dem Stand 2015: https://www.kunst-in-ostbayern.de/kuenstler/engelpeter.html

Das Buch ist nicht nur beim Pustet sondern auch im Versandhandel in beiden Versionen vorrätig, wie ich feststellte. Aber man muss aufpassen, dass man die richtige Version bestellt. Suchen Sie nach der "Sonderausgabe", oder achten Sie auf die Jahresangabe "2024". Auf dem Titelbild sieht man ein Emblem "Sonderausgabe". 

Als Sonderausgabe ist es eine eigene Edition, deshalb wird hier von der 1. Auflage gesprochen, obwohl es faktisch das Buch schon seit 2018 (und in minimal anderer Version seit 2012) gibt. Das ist für Interessenten möglicherweise verwirrend - und genau daher weise ich darauf hin. Es ging wohl nicht anders.

Nochmals die Daten zum Buch:

Regensburg Wimmelbuch, Sonderausgabe

1. Auflage 2024 • ISBN 978-3-947727-29-2 • Hardcover • Format 30,7 x 23,3 cm • 18 Seiten • 18,90 Euro [D]

Über die oben genannte Kulturpreisverleihung hatte ich einen Bericht im Jahre 2023 verfasst:



Siehe auch:
(Buchvorstellung des Münchner Wimmelbuchs von Peter Engel im neuen Coccodrillo-Theater in Reinhausen)